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Meinung: Die Wüste lebt nicht

Debakel Chipfabrik, oder: warum Politiker die Finger aus der Wirtschaft lassen sollten

Von Gerd Appenzeller

Wenn Menschen in aussichtsloser Lage Visionen haben, ist das, anders als Helmut Schmidt vermutete, kein Fall für den Arzt, sondern durchaus hilfreich. Nur wer Visionen hat, strebt nach vorne. Visionen sind Ziele, also eigentlich etwas gutes. Anders steht es mit den Halluzinationen. Die gaukeln Menschen Dinge vor, die es nicht gibt. Sie verwirren und sind Indizien für einen fieberhaften, wahnähnlichen Zustand.

Die brandenburgische Wirtschaftspolitik hat lange gemeint, sie sei von Visionen geleitet. Ihre Verfechter, allen voran der amtierende Ministerpräsident und sein Vorgänger, wollten nicht wahrhaben, dass sie sich in Wahrheit von Halluzinationen treiben ließen. Jetzt ist das Fieber weg, die Zwangsvorstellungen auch – und die Wirklichkeit erweist sich als grau und leer. Das geplatzte Projekt der Chipfabrik in Frankfurt/Oder ist nur das letzte Glied in einer ganzen Kette völlig verfehlter strukturpolitischer Maßnahmen. Die ganze Fantasiererei von der dezentralen Konzentration war so etwas wie der ideologische Überbau einer in der Praxis zum Scheitern verurteilten Ansiedlungspolitik. Der Lausitzring, der Cargolifter, das Oderhafenprojekt in Schwedt/Oder sind die Namen der anderen, großen Industriebrachen, die mit staatlichen Mitteln in die Weiten Brandenburgs hineinplaniert und -betoniert wurden. Der Irrglaube, der dahinter steht: Der Staat müsse nur genügend Geld über die Ödnis regnen lassen, damit dort die Wirtschaft sprieße. Aber die Wüste lebt nicht.

Was der Staat kann, ist dies: Behörden und Bildungseinrichtungen in Randregionen verlegen, um dort Entwicklungsimpulse zu geben. Zu hoffen, dass sich darum langsam Ringe mittelständischer Betriebe legen, Serviceunternehmen, die ihrerseits wieder Nachfrage schaffen. Das ist im Hochschulbereich auch in Brandenburg sehr sinnvoll und mit Erfolg getan worden. Was nicht funktioniert: Die Wirtschaft zwingen zu wollen, sich dort niederzulassen, wo der Staat es für erstrebenswert hält. Der sich behauptende Industriestandort Schwedt, eine Kunstgeburt der frühen DDR, scheint diese These Lügen zu strafen. Aber das stimmt nicht. Denn Schwedt lebt nur, weil dort die gigantische Erdölleitung aus der ehemaligen Sowjetunion endet.

Alles andere aber war herausgeworfenes Geld. Dezentrale Konzentration – damit wollte Brandenburgs Landesregierung verhindern, dass nur der Speckgürtel um Berlin prosperierte. Welche Blauäugigkeit! Als ob sich irgendein Unternehmen, das sich von der Nähe Berlins einen Profit versprach, weit weg von der Hauptstadt niedergelassen hätte.

Mit dem ganzen Dilemma, das jetzt im Scheitern der Chipfabrik einen traurigen Höhepunkt hat, ist vor allem ein Name verbunden: Manfred Stolpe. „Die kleine DDR“, hatte man sein Brandenburg genannt, weil der Landesvater wie ein Patriarch die wilden Stürme des Wandels von den Menschen fern halten wollte. Weil er unbeirrt glaubte, der Staat könne eben doch lenken und leiten und steuern. Seine Triebfeder war aller Ehren wert. Er träumte im Kohl’schen Stile von blühenden Landschaften, hoffte auch dann noch auf Wunder, als schon die Pleitegeier auf den Investitionsruinen saßen.

Sein Nachfolger Matthias Platzeck, der jetzt auf Stolpe zeigt, war zu feige, den Schlussstrich zu ziehen. Und dann gab es auch noch Wolfgang Fürniß, den Wirtschaftsminister, der Dienstliches und Privates vermengte. Aber wenn das Debakel einen Namen hat, wenn es einen Verantwortlichen gibt, dann ist es eben: Manfred Stolpe.

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