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Meinung: Die Zeltgeborene

Von Caroline Fetscher Wenige der Konferenzteilnehmer im winterlichen Bonn mochten Ende letzten Jahres - nach dem großen Schock - glauben oder nur hoffen, dass die Loja Dschirga in Kabul überhaupt eine Chance bekommen wird. Erst als es dem UN-Vermittler Lakhdar Brahimi gelungen war, die Fraktionen auf dem Petersberg zum abschließenden Gruppenfoto zu versammeln, schien die Sache gewisser: Afghanistan würde sich neu erfinden, als demokratisches Gemeinwesen.

Von Caroline Fetscher

Wenige der Konferenzteilnehmer im winterlichen Bonn mochten Ende letzten Jahres - nach dem großen Schock - glauben oder nur hoffen, dass die Loja Dschirga in Kabul überhaupt eine Chance bekommen wird. Erst als es dem UN-Vermittler Lakhdar Brahimi gelungen war, die Fraktionen auf dem Petersberg zum abschließenden Gruppenfoto zu versammeln, schien die Sache gewisser: Afghanistan würde sich neu erfinden, als demokratisches Gemeinwesen.

Jetzt hörte man in der westlichen Begleitmusik zum Abschluss der Loja Dschirga erneut skeptische Klänge und melancholische Fanfaren: Da seht ihr’s – es sind doch noch keine Demokraten. Die Rufe sind verfrüht. Denn „der Westen", diese euphemistische Bezeichnung für demokratische Nationen, insbesondere der EU, vergisst dabei, wie jung und fragil die Demokratien bei uns sind. Diktaturen gab es noch bis in die 60er und 70er Jahre, in Spanien, Griechenland, Portugal. Von Deutschland, das zwischen der Weimarer Republik und der barbarischsten Diktatur der Geschichte gerade mal die Jahre 1918 bis 1933 kannte, und das dann von den Alliierten jahrzehntelang an die Hand genommen wurde, ganz zu schweigen.

Kabul nimmt nun, mit Hilfe der Weltgemeinschaft, seine Geschicke wieder in eigene Hände – nach 23 Jahren Krieg und ethnischen Zerklüftungen. Dass Frauen an der Loja Dschirga teilgenommen haben, ist allein den Vereinten Nationen - also uns allen, außen - zu verdanken. Sie hätten sonst noch Jahre warten können. Und es war, betrachtet man die Berichte der internationalen Korrespondenten, ein gelungenes „Palaver".

„They talk! They speak!" sagte eine Kommentatorin im großen, weißen Zelt, das sich die Uno 200 000 Dollar pro Tag kosten ließ. So ähnlich kann man sich wohl den Anfang vom Anfang einer Gesellschaft vorstellen: Alle sitzen im Zelt und reden, solange bis ein Gewitter hereinbricht, heftiger Regen und Wind, oder bis am Abend das Essen auf dem Tisch steht. Anderntags setzen sie sich wieder ins Zelt und sprechen weiter.

Jedes einzelne Wort, das auf der Loja Dschirga in Kabul gesprochen wird, ist ein Fortschritt in sich. „Nation building", der magisch klingende Begriff der politischen Unterhändler in den Vereinten Nationen, die aus zerfallenen Schurkenstaaten wieder demokratisch gesinnte Gemeinwesen bauen möchten, ist eine langwierige und Geduld fordernde Sache. Es beginnt mit großen Kompromissen, die dann von Schritt zu Schritt kleiner und feiner werden.

Jeder, der wirklich an Frieden und Menschenrechten in Afghanistan interessiert ist, sollte Zuversicht haben, auch wenn derzeit noch Warlords und deren Klientel gehört werden – müssen. Die Phase der Anomie war lang. Der Weg zurück zur Herrschaft des Gesetzes, das ist schon jetzt klar, dauert keine weiteren 23 Jahre. Und in absehbarer Zeit wird die Bevölkerung selbst dubiose Warlords wie General Dostum vor ein Gericht stellen. Zum Beispiel vor den Internationalen Strafgerichtshof, dessen Statut am 11. April 2002 ratifiziert wurde - und der am 1. Juli 2002, in wenigen Tagen, in Kraft tritt. Doch Geduld ist gefragt. Über Nacht ist noch keine Demokratie aus der Taufe gehoben worden.

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