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Ein besserer Mensch mit Hilfe von Technik? Das ist ein alter Traum.

© dpa

Digitale Revolution: Die vitalen Kurven zeigen nach unten

Mehr Vernetzung, mehr Beteiligung, mehr Transparenz. Viele glaubten, die digitale Revolution werde die Gesellschaft verändern, zum Besseren. Nun sinken die Kurse von Facebook, den Piraten und Wikileaks. Eine Zwischenbilanz.

Von Anna Sauerbrey

Die digitale Revolution gleicht einem Karussell. Keines von diesen altmodischen Schmuckstücken mit behäbig kreisenden Pferden. Eher ein High-Speed-Roll-Over, eines, das die Fahrgäste bei magenverknotender Geschwindigkeit mithilfe von Techno- Beats um den letzten Rest vollen Bewusstseins bringt. Wer drin sitzt (und die meisten sitzen drin, zumindest am Arbeitsplatz), kann nur eines tun: sich festhalten und hoffen, dass der Bügel hält.

Nun scheint das Ding an Fahrt zu verlieren, zumindest zeigen einige vitale Kurven in der Steuerungskabine zurzeit nach unten. Die erste ist der Aktienkurs von Facebook. Das Papier hat seit dem Börsengang vor drei Monaten seinen Wert halbiert. Die zweite sind die Umfragewerte der Piratenpartei, die von zwischenzeitlich neun auf sechs Prozent abgefallen sind. Die dritte Kurve zeigt den Kontostand von Wikileaks. Die Enthüllungsplattform steht kurz vor der Pleite.

Facebook, die Piraten und Wikileaks stehen für drei wesentliche Elemente der zweiten Phase der digitalen Revolution, deren Startschuss der laute Knall der zerplatzenden Dotcom-Blase im Jahr 2000 war. Das Netz hat sich seither technisch gewandelt. Es ist schneller geworden, mobiler, verfügbarer, persönlicher, voller (mit Daten und Menschen), aber auch leichter zu durchsuchen. Die Euphorie über die neuen technischen Möglichkeiten wurde und wird überwölbt von der Hoffnung, damit möge ein gesellschaftlicher Wandel einhergehen. Dessen Schlagworte heißen Vernetzung, Beteiligung und Transparenz. Oder eben: Facebook, Piratenpartei und Wikileaks.

Doch hat sich wirklich so rasend viel verändert wie gehofft?

Die Antwort ist, wie so oft, Ja und Nein. Radikal verändert hat die digitale Revolution die Wirtschaft – von den Warenströmen bis zur Bereitschaft, für Dienstleistungen zu zahlen – und die Kommunikation. Eine Revolution sozialer Beziehungen durch die Vernetzung ist ausgeblieben, was noch am wenigsten überrascht. Die sozialen Netzwerke haben bestehende Kontakte intensiviert und Kommunikationswege beschleunigt und neu geordnet. Doch auch nach acht Jahren Facebook weist nichts darauf hin, dass die Menschen mehr Freunde als früher hätten oder der Unterschied zwischen „digitalen“ und „analogen“ Freunden nivelliert wäre. Die Hierarchie sozialer Beziehungen mit der Familie und engen Freunden als kuschelige Kerngruppe ist konstant.

Bilder der großen Hoffnung: Facebooks Börsengang

Auch die Hoffnung auf mehr Transparenz im öffentlichen Leben hat sich nicht erfüllt. Wikileaks ist sieben Jahre nach seiner Gründung ein Sonderfall geblieben. Obwohl heute jeder Zugang zu einer weltweiten Öffentlichkeit haben kann, ist die Zahl der Enthüllungen nicht in die Höhe geschossen. Der Druck auf öffentliche Stellen, selbst mehr Transparenz herzustellen, ist gering geblieben. Das Einzige, was radikal transparenter geworden ist, sind wir – als Konsumenten.

Wikileaks und Julian Assange

Als politische Bürger wiederum erweisen sich die meisten Menschen als konstant revolutionsverschlossen. Die Politik zollt dem Zeitgeist mit Beteiligungssurrogaten Tribut – oder sind wir wirklich ein demokratischeres Land, weil Angela Merkel jetzt auf Youtube Fragen beantwortet? Die digitale Revolution hält weder den Mitgliederschwund der Parteien auf, noch hat sie Einfluss auf die Wahlbeteiligung gehabt. Vielleicht ist es sogar umgekehrt. Das politische Engagement gleicht immer mehr zyklischen Fressattacken: Twitter und Facebook spülten kurzzeitig tausende Anti-Acta-Demonstranten auf die Straße, die schon am Tag nach dem Erreichen ihres Momentanliegens wieder vor der Spielekonsole verschwinden.

Der Traum von der Verbesserung und Erweiterung des Menschen durch die Technik ist so alt wie der Faustkeil. Ebenso alt ist die Erfahrung, dass der Mensch sich selbst sogar im Fortschrittssprint nicht abzuschütteln vermag. Er bleibt im Kern der Alte, auch im High-Speed-Roll-Over. Doch bevor Sie jetzt aussteigen: Abschnallen lohnt nicht. Die nächste Fahrt beginnt sicher bald.

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