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Diskussionskultur: Den deutschen Debatten fehlt es an Toleranz

Vor einigen Jahren hat der Historiker Heinrich August Winkler davon gesprochen, dass Deutschland auf seinem langen Weg nach Westen endlich angekommen sei. Doch die Freude darüber war wohl etwas voreilig.

Zumindest was die intellektuelle Auseinandersetzung in diesem Lande angeht kam die Einschätzung zu früh. Denn noch immer fremdeln wir mit dem Leitsatz demokratischer Diskussionskultur: Ich hasse, was du sagst, aber ich werde mich immer dafür einsetzen, dass du es sagen darfst (Voltaire). In Deutschland gilt viel mehr: Ich hasse, was du sagst, und ich werde Mittel und Wege finden, dich von künftigen Diskussionen auszuschließen.

Man mag von Eva Hermans intellektuellen Fähigkeiten und ihrer Einschätzung der Familienpolitik zwischen 1933 und 1945 halten, was man will, ihr Ausschluss aus einer öffentlichen Fernsehdiskussion war ein Armutszeugnis für den Anspruch, ihr zu widersprechen und sie zu korrigieren. Ersetzte Johannes B. Kerner die intellektuelle durch die moralische Ebene, so soll Kurt Beck auf der ästhetischen widerlegt werden. Nachdem die Delegierten des SPD-Parteitages seinem Vorschlag zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I zugestimmt hatten, porträtierte ihn eine große deutsche Zeitung als das „Grauen vom Lande“. Wie weiland Helmut Kohl wurden ihm Frisur, Bart und ein Anzug mit viel zu dicken Streifen vorgehalten, also seine politischen Überzeugungen mit ästhetischen Mitteln diskreditiert.

Provinzialismus gleich geistige Indifferenz oder einfacher ausgedrückt: Unter dieser Frisur können keine vernünftigen Gedanken wachsen, eine Methode, die schon vom Helmut Kohl der Wiedervereinigung glänzend widerlegt wurde.

Nun hat auch der diesjährige Büchner-Preisträger einen intellektuellen Tabubruch begangen, der jeden geringeren Zeitgenossen die weitere Teilnahme an der öffentlichen Diskussion gekostet hätte: die Fast-Gleichsetzung des nationalsozialistischen Massenmordes mit dem jakobinischen. Zwar ist es allemal schwieriger Martin Mosebach aus dem Saal zu komplementieren, als Martin Hohmann, doch das unterirdische Grollen von Sigrid Löffler und Co. ist deutlich vernehmbar. Bis jetzt wird nur widersprochen und als reaktionär verdammt, aber nicht mit dem Verbotsschild gedroht. Sollte es Martin Mosebach mit seiner Rede gelungen sein, die intellektuelle Auseinandersetzung in unserem Lande von der Schwäche des Moralisierens zu heilen, wäre das ein wirklicher Meilenstein auf dem weiten Weg nach Westen und eine köstliche Ironie der Geschichte, da der Dichter eben diesem westlichen Erbe aus Aufklärung und Französischer Revolution alles andere als wohlgesonnen ist.

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