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Dominique Strauss-Kahn: Zehn Minuten inklusive Dusche

Rösler, ein Womanizer? Merkel, eine Nymphomanin? Nein, die deutsche Politik ist nicht sexy. Dass DSK die Frauen liebt, wie er sagt, nimmt ihm in Frankreich niemand krumm. Solange er kein Sexualverbrechen begangen hat. Denn da hört der Spaß auf.

Oui, j’aime les femmes, et alors?, gestand erst vor einem Monat Dominique Strauss-Kahn, in Frankreich kurz DSK genannt. Ich liebe die Frauen, na und?

Ganz Frankreich stieß einen erregten, fast nachsichtigen Seufzer aus. Er bespringt alles, was sich bewegt! Er hat Feuer im Hosenschlitz! Man lachte. Die französische Sprache sang ihre erotischen Metaphern rauf und runter. Ohne das chaud lapin, den „heißen Rammler“, geht es in der menschlichen Komödie meines Landes nun mal nicht. Man lacht über ihn, man mag ihn, man verzeiht ihm seine Schwäche für die Damen.

Niemandem käme es in den Sinn, ihn zu verurteilen. Denn: Die Frauen lieben … das heißt, ihnen mit Zartgefühl zu begegnen, ihren Charme bewundern, es heißt, dass man ein Mann ist, ein richtiger Mann. Es ist eine Hommage an das weibliche Geschlecht. Ein Beweis der Virilität. Und bekanntlich lieben die Frauen die Männer, die die Frauen lieben. Sein knapper Satz wirft einen schmeichelhaften Glanz auf den, der ihn ausspricht, und das war DSK völlig bewusst. Er ist maliziös, galant, elegant, fast alte Schule. Er hat nichts Schlüpfriges oder Respektloses. Er verlangt nach Absolution. Und man gewährt sie gern.

Aber Achtung: Ein Mann, der die Frauen liebt, ist weder ein zwanghafter Don Juan noch ein narzisstischer Playboy – und schon gar kein 62-jähriger Besessener, der sich nackt auf das Zimmermädchen in seinem Hotel stürzt. Er ist auch das Gegenteil des grässlichen Frauenverstehers, dieses erotischen Kaugummis, Produkt des militanten Feminismus. Ein Satz, der so positiv ist, dass der Modemacher Louis Féraud ihn, noch emphatischer, als Slogan für seine Kollektion erkor: „Louis Féraud vergöttert die Frauen!“ erklärten riesige Werbeplakate in ganz Frankreich.

Welcher deutsche Politiker hätte ein derartiges Bekenntnis gewagt? Im Handumdrehen hätte eine Delegation von Frauenbeauftragten sein Büro belagert. Eine Gleichstellungskommission hätte ihn wegen kollektiver sexueller Belästigung verklagt. Ich höre schon die Hüter des 6. Gebots. Seine politische Karriere wäre mit einem Schlag zu Ende gewesen. Und seine gesunde Männlichkeit für immer kastriert. Aber wäre dieses nicht sowieso surrealistisch? Philipp Rösler, ein Womanizer? Angela Merkel, eine Nymphomanin? Winfried Kretschmann, der German Lover? Nein, nein, die Sexualität hat nicht einmal in ihrer legalen ehelichen Prägung einen Platz in der deutschen Politik.

In der französischen dagegen spielt sie eine zentrale Rolle. Von Deutschland aus gesehen ist Frankreich eine Republik der Erotomanen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Politiker die Frauen ein wenig zu sehr lieben – ein Effekt, der durch das Aphrodisiakum der Macht verstärkt wird – und die eigene Gattin betrügen. Beim Mittagessen erzählt man sich in den Redaktionen zwischen Dessert und doppeltem Espresso saftige Geschichten. Legendär sind die Eroberungen der Stiere vom Elysée, wie wir unsere zahlreichen Libertins im Präsidentenamt nennen. Unvergessen der Milchwagen, den Valery Giscard d’Estaing im Morgengrauen rammte, als er ein wenig verträumt von einer galanten Nacht ins eheliche Domizil zurückkehrte. Mitterrands Affären sind wohlbekannt.

Chiracs Appetit soll unersättlich gewesen sein. „Zehn Minuten inklusive Dusche!“, kommentierten die Pariser Journalisten; man erzählte sich, dass seine Büroleiterin im Terminkalender regelmäßige Freiräume von zehn Minuten eingeplant habe. Bleibt nur zu hoffen, dass er so klug war, etwas großzügigere Zeiten für die göttliche Claudia Cardinale zu reservieren, angeblich seine Geliebte. Nur der heilige de Gaulle war testosteronfrei. Der wichtigste Rat, den frischgebackene Journalistinnen bekommen, wenn sie im Ressort Politik anfangen: „Hüte dich vor den Besenkammern!“

Es war kein Geheimnis, dass DSK auch eine beutegierige Seite hat. Es wird gemunkelt, er habe in edlen Swingerclubs verkehrt. Man erzählt sich, dass seine Avancen häufig an sexuelle Belästigung grenzten. Wenn zwei Menschen sich einig sind, sind die Bettgeschichten Privatsache und gehen niemanden etwas an. Tür zu. Medien raus. Das ist der Verhaltenskodex der französischen Presse.

Doch ist in der Suite des Sofitel in New York eine Grenze überschritten worden? Von den einvernehmlichen sexuellen Eskapaden zur Vergewaltigung ist es ein Schritt, den auch die sehr libertäre französische Gesellschaft nicht toleriert. Wenn sich die Fakten bewahrheiten, dann handelt es sich nicht mehr um Privatleben, sondern um ein Sexualverbrechen. Und es gibt nichts mehr zu lachen. Es wird dann eine sehr traurige, ja eine tragische Geschichte.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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