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Meinung: Drum binde, wer sich ewig prüfet

Von Jost Müller-Neuhof Der Präsident war gerade am falschen Ort, er war in der Kirche. Deshalb hat Johannes Rau nichts mitbekommen vom übelsten Theater, das im Bundesrat je gespielt wurde: der Abstimmung über das neue Zuwanderungsgesetz samt Empörungsshow der Union im März.

Von Jost Müller-Neuhof

Der Präsident war gerade am falschen Ort, er war in der Kirche. Deshalb hat Johannes Rau nichts mitbekommen vom übelsten Theater, das im Bundesrat je gespielt wurde: der Abstimmung über das neue Zuwanderungsgesetz samt Empörungsshow der Union im März. Trotzdem ist er es jetzt, der das Stück zu würdigen hat. Er ist der Staatsnotar, der dem Gesetz mit seiner Unterschrift bescheinigt, rechtmäßig zu sein. Rau prüft es gerade, und er prüft lange, über neun Wochen schon. Er prüft zu lange.

Der Präsident meint es gut, zu gut. Er will den eigenen, hohen Ansprüchen gerecht werden, hat er gesagt. Das ist nur richtig. Aber er will noch weitere Gespräche führen und hofft dabei auf zusätzliche Erkenntnisse. Das jedoch ist ziemlich überflüssig. Denn was geschah, ist bekannt, das juristische Für und Wider ausgetauscht. Jetzt geht es nur darum, sich zu entscheiden. Und das kann Rau viel leichteren Herzens tun, als er vorgibt. Denn er darf unterschreiben.

Das Drama: Bundesratspräsident Wowereit fragt Brandenburg nach seiner Stimme. Sozialminister Alwin Ziel sagt ja, Innenminister Jörg Schönbohm deutlich nein. Wowereit mahnt, die Stimmen einheitlich abzugeben. Dann fragt er Manfred Stolpe, wie das Land abstimmen will. Stolpe, sehr vernehmlich: Als Ministerpräsident des Landes Brandenburg erkläre ich hiermit ja. Schönbohm brummelt: Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident. Wowereit: Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg mit Ja abgestimmt hat. Tumult hebt an, alles ruft und redet durcheinander. Wowereit fragt wieder. Stolpe sagt wieder ja, Schönbohm schweigt jetzt. Und Wowereit beschließt: So, dann ist das so festgestellt.

Was konnte Klaus Wowereit da eigentlich feststellen? Diese Frage teilt Politiker, Staatsrechtler und die Medien sowieso, erstaunlicherweise aber nur in zwei Lager: Die einen wussten, dass die Entscheidung falsch, die anderen, dass sie richtig war. Und vor allem wussten es die einen besser als die anderen. Was niemand wusste und bisher nicht weiß ist, woher diese Gewissheit stammt.

Mit dem Abstand wuchs die Übersicht. Johannes Rau muss das Thema auf zwei Ebenen behandeln, der tatsächlichen und der rechtlichen. Tatsächlich gab es ein Ja und ein Nein, dann ein Ja und ein Festhalten am vorherigen Nein, schließlich nur noch ein Ja. Klar ist nur, Jörg Schönbohm wollte Ablehnung zum Ausdruck bringen, aber er wollte das Gesetz auch nicht um jeden Preis verhindern. Sonst hätte er am Ende nicht geschwiegen. Ein Nein? Eine de-facto-Zustimmung? Es gibt für beide Seiten gute Gründe.

Entscheidet sich Rau auf dieser tatsächlichen Ebene für ein Ja, kann er aufhören zu prüfen. Dann hat Brandenburg einheitlich gestimmt, wie es die Verfassung vorschreibt. Erst wenn Rau Schönbohms Verhalten als Nein wertet, taucht er in die Tiefen der Verfassungsrechts. Doch dort, wo er taucht, wird es trüber je tiefer man kommt. Das Grundgesetz sagt fast nichts zu diesem Thema. Und juristische Gutachten sagen zwar vieles, aber meist nur über jene, die sie schreiben. Rau ist also ziemlich alleine.

Die Kernfrage heißt: Soll der Ministerpräsident im Bundesrat für sein Land das Sagen haben? Oder zählt dort jede Stimme, also auch das Nein eines unwilligen Koalitionärs? Die Antwort ist eine juristische Herkulestat. Und wie so oft gibt es auch hier nicht richtig oder falsch, sondern nur gute Argumente und weniger gute. Was es vor allem gibt sind Berufene, die diese Aufgabe schultern können. Sie sitzen in Karlsruhe. Der Bundespräsident muss sich mit diesen Fragen nicht bis ins Detail befassen. Im Gefüge der Legislatur kommt ihm die Rolle zu, Stopp zu rufen, wenn offenkundig Rechtswidriges Gesetz werden soll. Das ist hier nicht der Fall. Hier ist gar nichts offenkundig.

Rau ist der Notar, er muss nicht auch den Richter spielen. Er muss den Streit nicht aus dem Wahlkampf heraushalten und er muss sein Votum nicht erklären. Er muss nur eines: das Gesetz zügig unterschreiben, damit bald Klarheit herrschen kann.

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