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Meinung: Düstere Aussichten

Letzte Chance für Europa: Weg mit den Agrarsubventionen! Von Denis MacShane

Europa steuert auf einen schwarzen Dezember zu. Dem französisch-niederländischen Nein zur Verfassung folgte das Debakel über den Haushalt, als Spanien, Schweden, die Niederlande, Finnland und Großbritannien die Vorschläge der luxemburgischen EU-Präsidentschaft nicht annehmen konnten. Seither streitet Europa auf Nebenschauplätzen: die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die Unruhen in den Vororten von Paris und anderen französischen Großstädten, das stetige Anwachsen einer populistischen, protektionistischen und intoleranten Politik in vielen EU-Staaten.

Wie Jean Francois-Poncet vor kurzem im „Figaro“ schrieb, liegt das Hauptproblem in der Unfähigkeit des Gründertrios Deutschland, Italien und Frankreich, „die nötigen Reformen durchzuführen, um ihre Wirtschaft an die Globalisierung anzupassen“.

Der Schaden der ultraprotektionistischen Position, die unter anderem von Frankreich und Irland vertreten wird, macht sich jetzt auch in anderen Sektoren der französischen Wirtschaft bemerkbar. Das ist es, was Europa beim WTO-Gipfel in Hongkong anbieten sollte: einen Abbau des Agrarprotektionismus (wobei die USA sich genauso weit bewegen müssen wie die EU) als Gegenleistung für einen Abbau der Zollschranken, die Länder wie Indien und Brasilien für europäische Güter und Dienstleistungen vorsehen. Stattdessen hindert uns die starre Haltung von Ländern wie Irland, wo das Einkommen der Bürger inzwischen höher ist als in Großbritannien, und Luxemburg und Spanien, die zu den reichsten in Europa gehören, an einer Einigung auf einen Haushalt, der den ärmeren Ländern Osteuropas zugute käme und durch niedrigere Zölle für EU-Exporte europäische Wirtschaftsinteressen fördern würde.

In Großbritannien musste Tony Blair den Protektionisten der euroskeptischen Presse und der Konservativen Partei Paroli bieten, die im letzten Jahr keine Arbeitnehmer aus Osteuropa auf den britischen Arbeitsmarkt lassen wollten. Es war ein zäher politischer Kampf. Heute sind Bürger aus Polen, Ungarn und den anderen neuen EU-Staaten in Großbritannien willkommen. Das Geld, das sie nach Hause schicken, und das Know-how, das sie erwerben, wird der Wirtschaft ihres Landes mehr nützen als Schecks aus Brüssel.

Ein großes politisches Risiko ist Blair in Großbritannien auch mit seinem Angebot eingegangen, über eine Reform des britischen Beitragsrabatts zu verhandeln. Bis zu diesem Sommer war allein der Gedanke daran ein absolutes Tabu. Jetzt hat Blair eine völlige Kehrtwende in der britischen Politik eingeleitet. Anstatt diese Gesinnungsänderung zu begrüßen, bestehen allerdings andere reiche europäische Länder weiterhin darauf, dass sie ihrerseits sich nicht bewegen und etwa auf Gespräche über eine Reform des Agrarhaushalts einlassen müssen. Sie verfahren nach der Devise: „Was wir haben, behalten wir, was Großbritannien hat, verhandeln wir weg."

Das wird aber nicht funktionieren, und kein britischer Abgeordneter wird im Dezember für ein Haushaltsabkommen stimmen, das den britischen Rabatt kürzt, solange Paris, Dublin, Luxemburg und andere Hauptstädte nicht bereit sind, Großbritannien auf halbem Wege entgegenzukommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in London zu Recht darauf hingewiesen, dass der EU-Haushalt nicht von einem einzelnen Land abhängt. Deutschland kann nun vorangehen und deutlich machen, dass die geheime Absprache zwischen Gerhard Schröder und Jacques Chirac, wonach die protektionistische gemeinsame Agrarpolitik bis 2013 erhalten bleiben soll, jetzt von der neuen reformfreudigen Koalitionsregierung in Berlin noch einmal überdacht werden könnte.

In Großbritannien stoßen sowohl die Politik der offenen Tür gegenüber osteuropäischen Arbeitnehmern als auch Blairs radikaler Kurswechsel in der Rabattfrage auf scharfen Widerstand, während ein antieuropäischer Populismus zunehmend an Boden gewinnt. Die britischen Konservativen und ein Großteil der britischen Presse sind keine Freunde Europas und warten nur darauf, Blair wegen eines „Ausverkaufs“ des von Margaret Thatcher erkämpften Rabatts anzugreifen.

Wenn die Agrarprotektionisten in der EU also einseitige Opfer aus London erwarten, werden sie enttäuscht sein. Und da ein Sieg des Agrarprotektionismus in der EU auch die Chancen auf eine Einigung in der WTO zunichte macht, sind die Aussichten auf eine neuen Schub für die Wirtschaft Europas und der Welt trübe.

Der Autor ist britischer Labour-Abgeordneter. Von 2002 bis 2005 war er Europaminister.

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