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Das Bundesverfassungsgericht genießt hohe Ansehen. Mit seinem Beschluss zum EFSF-Sondergremium hat es sich aber überhoben.

© dapd

EFSF-Sondergremium: Eilbeschluss aus Karlsruhe geht an der Realität vorbei

Der EFSF ist die Feuerwehr der Eurozone: Sie muss ausrücken können, ohne den Bundestag um Erlaubnis zu fragen. Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben es mit ihrem Eilbeschluss gut gemeint - naiv ist es trotzdem.

Von Robert Birnbaum

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, und im Allgemeinen kann man nur sagen: mit Recht. Die Karlsruher Richter üben ihr Wächteramt über das Handeln der Staatsmächte gemeinhin mit großer Klarheit und mit ebenso großem Augenmaß aus. Kein Gericht bringt regelmäßig so viel Verständnis für die Handlungsfreiheit auf, die eine Regierung zum Regieren braucht und ein Parlament zum Entscheiden. Um so deutlicher muss aber auch gesagt werden dürfen, wenn sich diese ehrenwerte Institution überhebt. Der Eilbeschluss, mit dem die Karlsruher Richter dem Bundestag untersagt haben, bestimmte Schritte der Euro-Rettung einem geheimen Sondergremium zu übertragen, mag von ehrenwerten Motiven getragen sein. Er zeigt nur leider, dass das Gericht keine Ahnung hat.

Um das zu verstehen, lässt sich ein kurzer Ausflug in den Dschungel der Finanzwelt nicht vermeiden. Die Euro-Mitglieder haben dem Rettungsschirm EFSF neben einer Reihe anderer Aufgaben auch die einer Art Feuerwehr übertragen. Wenn die Staatsanleihen eines Mitgliedsstaats an den Märkten kurzfristig unter Druck geraten, soll der EFSF eingreifen dürfen. Das hat bisher die Europäische Zentralbank getan, nach Meinung vieler etwas außerhalb der Legalität, aber was half’s: Es war ja sonst keiner da, der massenhaft Anleihen kaufen, dadurch den Preis stabilisieren und so verhindern konnte, dass aus einer kurzen Spekulationsflamme ein Flächenbrand wird.

Der Trick dabei ist: Der Löscheinsatz muss schnell, unerwartet und heimlich passieren. Sonst funktioniert er nicht. Genau deshalb hat der Bundestag ein kleines, vertrauliches Gremium eingesetzt, das der Feuerwehr kurz nach dem Alarm die Garagentür aufschließen soll. Zwei SPD-Abgeordnete haben dagegen geklagt, weil sie sich in ihrem Recht auf Haushaltskontrolle verletzt glauben. Das Gericht hat daraufhin den Geheimmechanismus vorläufig gestoppt. Das ist sein Recht. Aber die Begründung ist so abenteuerlich, dass sich sogar einer der Kläger peinlich berührt zeigt. Die Bundesregierung, finden die roten Roben, könne doch einfach beim Bundestag Zustimmung zu einer Marktintervention des EFSF beantragen, „über die dann das Plenum entscheidet“. Das ist, mit Verlaub, grober Unfug. Kein Mensch käme auf die Idee, dass die Feuerwehr einen Beschluss des Gemeinderats abwarten müsse, bevor sie ausrückt.

Wenn die EFSF-Feuerwehr erst den ganzen Bundestag fragen muss, kann sie zu Hause bleiben. Am Brandherd rauchen da längst nur noch Trümmer. Nun haben gewiss alle recht, die sagen: Es kann doch eigentlich nicht sein, dass die Politik immer hinterher hecheln muss, wenn der Spekulantenmarkt auf hohen Touren überhitzt. Stimmt, das kann nicht sein. Die Politik muss das ändern, muss Tempo aus den Märkten nehmen, muss Feuerschutzvorschriften durchsetzen. Doch das braucht Zeit. Im Hause Euro glimmt und qualmt es aber jetzt. Das stellt die Demokratie nicht in Frage. Der Bundestag kann mitreden. Er hat dazu die neun Vertrauensleute bestimmt. Ob deren Arbeitsauftrag nicht zu weit gefasst ist, ist eine zulässige Frage. Aber wenn das Verfassungsgericht bei seiner Linie bleibt, dann gibt es für niemand mehr etwas zu arbeiten.

Deutschlands oberste Richter hätten dem vereinten Europa die Feuerwehr stillgelegt. Ob dem Gericht diese Konsequenz bewusst war, als es seine Eilentscheidung traf? Kaum zu glauben angesichts der freundlichen Naivität seiner Argumentation. Man kann den Damen und Herren nur zu einem baldigen Betriebsausflug aus dem idyllischen Residenzstädtchen Karlsruhe in die nahe Finanzmetropole Frankfurt raten, zwecks Weiterbildung. Sie könnten dort auch rasch erkennen, dass dieser Fall der falsche ist, um einen seit langem schwelenden Grundsatzkonflikt auf die Spitze zu treiben. Es geht hier nicht um die Abgrenzung zwischen nationaler Selbstbehauptung und vereintem Europa. Es geht um eine größere Frage: ob die Demokratie Wege findet, sich in der Hochgeschwindigkeitswelt zu behaupten. Dass dem Verfassungsgericht diese Welt offenbar fremd ist, darf kein Grund sein, ihr diese Wege zu verlegen.

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