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Meinung: Ein Feld für Europa

Im Kongo bahnt sich ein neuer Völkermord an

Die Brutalität ist unbeschreiblich. Mit unfassbarer Grausamkeit haben die Milizen zweier Ethnien nach dem Abzug der ugandischen Truppen in der Krisenprovinz Ituri im Ostkongo miteinander gekämpft – mehr als 300 Zivilisten sowie vier UN-Beobachter und Rotkreuz-Mitarbeiter sind binnen zweier Wochen massakriert worden. Fälle von Kannibalismus wurden gemeldet und, dass Milizionäre menschliche Organe aufgespießt auf ihren Waffen durch die Straßen Bunias getragen hätten. Die veröffentlichte Todesbilanz der Vereinten Nationen für die Stadt Bunia scheint nur eine erste Bilanz zu sein. Insgesamt hat der Konflikt zwischen den Hema und den Lendu – genährt durch fremde Mächte wie Uganda und Ruanda – in vier Jahren angeblich bis zu 50 000 Tote gefordert.

Im ehemaligen Reich von Diktator Mobutu Sese Seko ist der Zentralstaat zerfleddert, es gibt keinen Kräftefaktor in der Demokratischen Republik Kongo, der hier im Ituri für Sicherheit und Ordnung sorgen könnte. Schutzlos ist die Bevölkerung der rohen Gewalt von freien Milizen ausgeliefert, das Volk fordert internationalen Militärschutz an, um aus der Stadt fliehen zu können.

Die Weltgemeinschaft darf nicht ein zweites Mal tatenlos zusehen, wie sich in Afrika ein Völkermord anbahnt. Ruanda 1994 mahnt. Damals starben innerhalb von vier Monaten 800 000 Menschen bei einem der grausigsten Genozide der jüngeren Geschichte. Auch das Beispiel Somalia muss eine Warnung sein – dort herrscht seit dem Scheitern einer UN-Mission ein anarchischer Status, der die ganze Region Ostafrika destabilisiert. Somalia ist zur Drehscheibe des internationalen Waffen- und Drogenschmuggels geworden, von der Terrorgefahr ganz zu schweigen. Kofi Annans Ruf nach einer multinationalen „Koalition der Willigen“ für die Ituri-Provinz sollte auch von der Europäischen Union wohlwollend geprüft werden.

Wer hilft im Ituri? Afrikanische Konflikte sollten in Afrika durch Afrikaner gelöst werden, besagt eine neue Denkrichtung, die sich auch im ambitionierten Nepad-Programm, der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ widerspiegelt. Der Anspruch ist hehr, aber zur Zeit noch nicht zu erfüllen. Zwar gibt es eine Vielzahl von schmutzigen Kriegen auf diesem Kontinent, aber wenige wirklich starke nationale Armeen. Abgesehen von Südafrika, Nigeria, Ruanda und Uganda sind die meisten Regierungstruppen in Afrika schlecht ausgerüstet, mangelhaft ausgebildet und kaum motiviert. „Flughafentruppe“ nennt man die Armee der relativ wohlhabenden Elfenbeinküste, die mit 700 Meuterern nicht fertig wurde und hilflos zusah, wie das Land zersplitterte.

Aus Afrika, soviel steht fest, wird eine Pufferstreitmacht für den Ostkongo nicht zu erwarten sein. Hilfe ist eher von alten Kolonialmächten zu erwarten. Frankreich und Großbritannien haben bereits grundsätzlich ihre Bereitschaft signalisiert, der schwachen Blauhelmtruppe der UN zur Seite zu stehen, was in Sierra Leone schon einmal funktioniert hat. Britische Elitesoldaten verschafften sich dort mit gezielten Einsätzen Respekt bei den Rebellen, die zeitweise sogar UN-Einheiten in Geiselhaft genommen hatten. Das Land ist heute befriedet. Belgien ist bereit, die militärische Logistik zu sichern, auch Kanada zeigt Interesse, und Deutschland bietet finanzielle Hilfen an. Die USA haben an Afrika nur ein mäßiges Interesse bewiesen – vielleicht ist der afrikanische Kontinent ein Feld, in dem sich eine neue europäische Sicherheitspolitik erproben kann.

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