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Meinung: Ein ganz normaler Dieb Von Robert Birnabum

Es gibt Gerichtsverfahren, bei denen kommt es auf das Urteil an, und andere, bei denen ist das Verfahren die Hauptsache. Im Prozess gegen Manfred Kanther – beides.

Es gibt Gerichtsverfahren, bei denen kommt es auf das Urteil an, und andere, bei denen ist das Verfahren die Hauptsache. Im Prozess gegen Manfred Kanther – beides. Ein langjähriger Bundesminister des Inneren, Symbolfigur eines unnachgiebig korrekten Rechtstaats, verurteilt zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung – das ist neu im Staate Deutschland. Es ist aber, nur allzu gerecht. Man kann unter Juristen vermutlich lange darüber debattieren, ob Kanther tatsächlich wegen Untreue gegen die CDU verurteilt werden kann, obwohl er zu seiner Zeit als Schwarzer Kassierer der HessenCDU noch nicht wusste, dass sein Hort in den Alpen die Partei einmal 21 Millionen Euro kosten würde. Der Bundesgerichtshof wird das klären. Aber wenn die Wiesbadener Landrichter Recht haben, dann auch in der Höhe der Strafe. Wer mit einem bewussten Verstoß gegen Vorschriften einen solchen Schaden anrichtet, kann nicht gut auf Milde hoffen.

Nicht debattieren kann man darüber, dass Kanther mit dem Urteil im moralischen Sinne schon ganz Recht geschieht. Denn er ist bis zuletzt ein uneinsichtiger Sünder geblieben. Dass es ein politischer Fehler war, zwecks leichterer Bekämpfung einer eingebildeten sozialistischen Gefahr Bares in Schweizer Tresoren zu bunkern, hat der CDU-Politiker schließlich eingeräumt. Dass es aber eben auch eine schlichte Straftat war, dem gemeinen Diebstahl vergleichbar, hat er nie wahrhaben wollen. Erst in seinem Schlusswort ist so etwas wie der Anfang einer Einsicht zu erkennen gewesen, in einem allerdings bemerkenswerten Satz: „Auch formale gesetzliche Pflichten sind zu erfüllen.“

Man steht verdutzt. Hatten wir einfachen Bürger nicht geglaubt, dass es generell so ist mit den Gesetzen: Man muss ihnen folgen, auch wenn sie einem gerade nicht so gut passen? Als Kanther Minister war, hat er das noch sehr genau gewusst. Seit er vor Gericht steht, macht er feine Unterschiede. Das kann man einem normalen Angeklagten durchgehen lassen, als Naivität, Hilflosigkeit, versuchte Bauernschläue. Einem wie Kanther nicht. Den Mann zu verurteilen ist ein Akt der Generalprävention.

Seiten 1 und 4

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