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Meinung: Ein Hauch von Endzeit

Hanau: viel mehr als eine Nuklearfabrik

Stilnoten kann man später verteilen, sagt Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Hier spricht der Profi, der zur glatten Formel greifen muss, wo in Wahrheit die nackte Verzweiflung lauert. Es stimmt: Vor dem Stil rangiert in der Politik die Substanz. Doch im politischen Gedächtnis der Bürger vermischen sich Inhalte, Stil und Abläufe manchmal zu einem Bild, in dem etwas Gültiges festgehalten wird. Deshalb trifft der anvisierte Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik nach China die rot-grüne Koalition ins Mark.

Hanau, das ist ein Gründungsmythos der politischen Konstellation, die seit 1998 im Bund regiert. Deshalb ist der geplante Verkauf und dessen überraschende Verkündung keineswegs, ja noch nicht einmal in erster Linie eine Frage rechtlicher und sachlicher Klärungen, um die in den Reihen von SPD und Grünen jetzt gekämpft wird. Man kann im Gegenteil sagen, dass diese Bemühungen Teil einer allgemeinen Heuchelei geworden sind. Einer Heuchelei, mit der vertuscht werden muss, wie gleichgültig die führenden Köpfe mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrer Glaubwürdigkeit und ihren Leuten umgehen – allen voran Gerhard Schröder und Joschka Fischer.

Schröder, der Pragmatiker, an der Heimatfront umstellt von nörgelnden Genossen, hat sich in der Ferne wieder einmal als der zupackende Lobbyist für die Wirtschaft betätigt, was an sich nicht zu kritisieren ist. Auch ist seine Wurstigkeit gegenüber der Hanauer Fabrik biografisch verständlich. Für seinen Weg in die rot-grüne Koalition hat sie keine Bedeutung; wenn ein deutsches Unternehmen in China gute Geschäfte machen will, dann kann man nachvollziehen, dass allein rechtliche Fragen zu klären und für die Politik bindend sind. Soweit der Wirtschaftskanzler. Doch der hat offenbar den Regierungschef vergessen, dem zum vollendeten innenpolitischen Elend nur noch eine Zutat fehlte: ein lautes Knirschen in der Koalition.

Joschka Fischer, der früh eingeweiht war, lässt das Wort von den „bitteren Entscheidungen“ kursieren, die manchmal gefällt werden müssten. Es ist ein gewaltiger Abstand, der den grünen Außenminister von dem hessischen Umweltminister trennt, der die erste rot-grüne Koalition durchsetzte – aber zwei Jahre später bereit war, sie wegen des Konflikts um Hanau 1987 wieder zu verlassen. Die Schließung der Nuklearbetriebe im zweiten Anlauf war für die Grünen viel mehr als ein sachlicher Erfolg. Er war der Durchbruch zur Legitimation grüner Regierungsbeteiligungen. Allen voran Fischer stand damals dafür ein, dass die Grünen zum Zweck, nicht zum Selbstzweck an die Macht wollten.

Es gab seitdem schwer wiegende rot-grüne Entscheidungen, die vor allem die grüne Partei unter Verdacht gebracht haben, sie verrate ihre Ziele, um in den Regierungssesseln zu bleiben. Aber weder beim Atomausstieg noch bei den Militäreinsätzen wurde mit Positionen und Symbolen so lapidar, so beiläufig umgegangen wie in diesem Fall. Man fühlt beinahe Mitleid mit den grünen Abgeordneten, die jetzt irgendwie auslöffeln müssen, was andere angerührt haben. Und der grünen Anhängerschaft, der ein entrücktes Spitzenpersonal keine Erklärungen mehr gönnt. Ein Hauch von Endzeit kommt auf, wenn Fischer und Schröder das politische Fingerspitzengefühl so abhanden gekommen ist.

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