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Meinung: Ein Hauch von Lübke

Was die FDP bei der Bundespräsidentenwahl lostritt, könnte ihr bald auf die Füße fallen

Waren sich nicht eben noch alle einig, dass es gut wäre, wenn die Wahl des Staatsoberhaupts nicht wieder zum Schauplatz für die taktischen Züge der Parteien würde? Vergessen wir’s. Falls das je eine Möglichkeit war, ist sie vorbei. Spätestens mit der wachsenden Entschlossenheit der FDP, einen eigenen Kandidaten zu benennen, ist die große politische Partie um Chancen und Optionen eröffnet. Die Bundespräsidentenwahl ist wieder zum Spielmaterial geworden, das verspricht, über Erfolg und Scheitern ganzer politischer Stammlinien zu entscheiden. Das Wahljahr mit seinen vierzehn Entscheidungen rückt ein anderes Superwahljahr, 1994, in den Blick. Da wendete eine strategisch gut platzierte Bundespräsidentenwahl – Sieger Roman Herzog, CDU, Verlierer Johannes Rau, SPD –, die politische Landschaft gründlich um – und Helmut Kohl blieb Bundeskanzler.

Die Verführung, diese Wahl kräftig politisch aufzumischen, ist für die Liberalen allerdings auch so groß, dass eine Partei, die im Moment eher eine marginale Rolle innehat, ihr nur schwer widerstehen kann - erst recht nicht die leicht entzündbare FDP. Die kleinste Vertretung in der Bundesversammlung hat den Mehrheits-Hebel in der Hand. Ohne sie kann die Union ihre Stärke dort nicht durchsetzen, und erst recht ist Rot-Grün nur mit ihr in der Lage, in der Kandidaten-Konkurrenz überhaupt ernsthaft mitzubieten. Endlich kann sich die FDP also wieder ins ganz große Spiel bringen. Und schon wittert sie Morgenluft, schon wuchern die Szenarien. Weshalb soll sie brav und bieder Wolfgang Schäuble mitwählen, wenn sie die Union dazu nötigen kann, einen FDP-Bundespräsidenten zu wählen – etwa Wolfgang Gerhardt? Oder, wenn die Union nicht will, zusammen mit Rot und Grün Frau Schmalz-Jacobsen? Schwäche in Stärke umzumünzen hat die Liberalen schon immer gereizt.

Allerdings hätte eine solche Wahl ihre Risiken. Der FDP-Bundespräsident wäre kein leichthin gewonnener Triumph einer kühnen Operation, eben das „Meisterstück“, das Guido Westerwelle schon vor Monaten angekündigt hat; er würde seinen Preis kosten. Es müsste die Partei nicht kümmern, dass Angela Merkel schwer beschädigt wäre, und die Union ihre Kräfte neu sortieren würde. Die Weichen, die eine solche Wahl stellte , führten – anders als bei der Wahl Gustav Heinemanns 1969, die den Weg zur sozialliberalen Koalition ebnete – in gänzlich unübersichtliches Gelände. Die FDP hätte das höchste Staatsamt, aber was hätte sie noch? Die Aussicht, mit der Union zusammen Schritt für Schritt die rot-grüne Koalition aus dem Sattel zu heben wäre perdu. Die FDP würde an die Seite von SPD und Grünen gedrängt. Will sie da eigentlich hin? Wollen Rot und Grün sie – außer zum Zwecke, der Union eine Schlappe beizubringen? Ganz abgesehen davon, dass die Erdbrocken, die die FDP damit im Parteiengefüge losträte, ihr bei den kommenden Wahlen auf die Füße fielen.

Natürlich, eine Partei denkt an sich selbst zuerst, zumal wenn sie wie die FDP schwierige Wahlen vor sich hat. Die anderen tun es ja auch. Aber die Richtung, in die die Parteien mit ihrer taktischen Instrumentalisierung dieser Wahl die Entscheidung zu bringen drohen, könnte am Ende alle zu Verlierern machen. Es könnte eine Dynamik entstehen, die die Verlegenheitskandidaten nach vorn bringt. Als eben Rudolf Seiters in der Union ins Gespräch gebracht wurde, lag schon ein Hauch von Lübke in der Luft – das war jener brave Sauerländer, den die Union 1959 ins Amt hob. Die Verantwortung dafür fiele in erster Linie zurück auf die Partei, der die politische Situation die Zuschlags-Macht gibt.

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