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Meinung: Ein hübsches Spiel

Übernimmt die SPD die Mehrheit im Bundestag?

Man kann die Episode auch einfach als Unsinn abtun. Da hatten doch tatsächlich einige SPD-Leute gehofft, wenn die CDU demnächst zwei Bundestagsabgeordnete verliere, weil der eine bald der Autolobby vorsteht und der andere für ein Oberbürgermeisteramt kandidiert, nahe eine Art Machtwechsel. Wenn nämlich die Unionsfraktion nicht mehr größer sei als die der SPD, könnten die Sozialdemokraten gleich beides für sich beanspruchen – das Kanzleramt wie den Posten des Bundestagspräsidenten. Unsinn – mit lehrreichen Aspekten!

Zunächst: Selbst wenn der Union tatsächlich zwei Abgeordnete abhanden kommen sollten, ändert das noch nichts am Wahlergebnis vom Herbst 2005. Nach Zweitstimmen hatte die Union 436384 Stimmen mehr auf sich vereint als die SPD. Wiederum nach Zweitstimmen berechnet, hätten der Union netto 6 Mandate mehr zugestanden als der SPD. Allein durch die Überhangmandate (9 für die SPD, 7 für die CDU) hat sich der Bruttoabstand auf 4 Mandate verkürzt. Zufällig hatten die beiden CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg, um die es nun geht, Überhangmandate inne – die werden aber nicht durch Nachrücker aufgefüllt. Aber selbst wenn die Union alle Überhangmandate verlieren sollte, die SPD alle behielte und dann drei Abgeordnete mehr zählte als die Union – was würde daraus folgen?

Unmittelbar – gar nichts! Was die Kanzlerin betrifft, so ist sie gewählt, bis sich gegebenenfalls eine andere absolute (Kanzler-)Mehrheit für die Wahl eines Nachfolgers fände. Verschiebungen in den Fraktionsstärken sind dabei ohne Belang. Die größte Fraktion hat zu Beginn einer Legislaturperiode weder den Anspruch, den Kanzler zu stellen noch den Anspruch, mit der Sondierung der Regierungsbildung zu beginnen. Deshalb hatten ja 1969 Willy Brandt und Walter Scheel auch nicht erst Kurt Georg Kiesinger gefragt, ob sie eine Regierung bilden dürften. Und als Gerhard Schröder in der Wahlnacht seinen sagenhaften Auftritt zelebrierte und verkündete, gegen ihn werde niemand Kanzler werden, kam es ebenso wenig auf Fraktionsstärken an, als vielmehr auf die simple Frage: Wer bekommt tatsächlich eine Kanzlermehrheit zusammen – er oder Angela Merkel?

Bei der Wahl des Bundestagspräsidenten liegen die Dinge etwas anders. Traditionell „gehört“ dieses Amt der größten Fraktion. Das ist aber nur ein guter Brauch, kein Rechtsanspruch. Und es war ausgerechnet die SPD, die 2005 zunächst forderte, wenn Schröder schon das Kanzleramt für Merkel räumen solle, müsste die SPD im Gegenzug den Parlamentspräsidenten „behalten“ dürfen – größte Fraktion hin oder her. Der einmal gewählte Bundestagspräsident aber ist – gewählt, und zwar nicht nur für die Zeit, in der seine Fraktion die größte ist. Er wird schließlich vom gesamten Bundestag gewählt, nicht etwa von einer Fraktion bestimmt. Deshalb konnte Lothar Bisky auch nicht Vizepräsident werden, obwohl seine Fraktion einen Rechtsanspruch darauf hat, einen der „Vizes“ stellen zu dürfen – wen aber, das bestimmt letztlich der ganze Bundestag. Und selbst wenn die „PDS/Die Linke“ je den Fraktionsstatus verlieren sollte, bliebe ihr Mitglied Petra Pau erst einmal „Vize“. Auch hier gilt: Gewählt ist gewählt.

Was also sollte der ganze Unfug? Es handelte sich um den Versuch, die Legitimität ungeliebter Machtverhältnisse schon einmal vorsorglich zu unterspülen. Wer aber die Machtlage verändern will, der muss nicht an ihr herumknabbern. Der muss – Wahlen gewinnen, zunächst im Parlament, vor allem aber: im Volk.

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