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Ein Jahr im Amt: Wulff ist als Bundespräsident ein Profi

Christian Wulff will es als Bundespräsident schaffen. So viel ist sehr wahrnehmbar geworden. Er ist langsam wachsendes Holz. Seine Härte soll niemand unterschätzen.

Keiner für den ersten Blick ist er, die Zuneigung kommt auf den zweiten: Die Bundesbürger haben längst begonnen, ihren Bundespräsidenten zu mögen. 83 Prozent finden, dass er, ein Jahr im Amt, seine Sache gut macht. Seine Sache ist, die Integrationsagentur des Staates zu sein. Und wie von selbst fügt sich das in die Prioritätenliste von Christian Wulff.

Angeführt wird sie von der Sorge um die innere Verfasstheit des Landes und dessen Zusammenhalt in Zeiten, in denen epochale Veränderungen wie Fliehkräfte daran zerren. Ist er doch der Präsident eines Landes, das multiethnisch geworden ist und sich dem aufgrund weltweiter Wanderungsbewegungen nicht entgegenstellen kann. Wulff ist der vergleichsweise junge erste Bürger Deutschlands, dessen Bevölkerung altert, und wirbt bei der Mehrheit, skeptisch, wie sie ist, für Integration insgesamt und für einen würdigen Umgang mit dem Fremden im Besonderen.

Ja, ein Jahr im Amt ist er, schon. Viele Worte aus hundert Reden mögen verhallt sein, dieser Eindruck aber gewinnt Kontur: Der Bundespräsident verhält sich professionell. Weil er selbst aus dieser „Kaste“ der Politiker stammt, weil er die Begrenzungen von Ämtern und Macht selbst erfahren hat, weil er selbst oft genug im Kampf um die Macht verloren hat, ist seine jetzige Warnung vor Politikverdrossenheit – und Politikerverdrossenheit – wie auch vor nachlassendem demokratischen Engagement ernst zu nehmen. Wulff weiß, wovon er spricht. Das ist, wenn man Einfluss nehmen will, in keinem Fall von Übel; übrigens an der gegenwärtigen Bundesregierung als abschreckendem Beispiel gut abzulesen. Gut, geradezu eine Fügung, ist darum, dass hier einer an der Spitze die engen Handlungsspielräume der Regierenden kennt und nachweisen kann, dass es seine Zeit braucht, bis sich einer durchsetzt.

Das gilt zumal für ihn. Aber mit den alten Rhetoren gesprochen: Wer Argumente hat, der muss nicht laut werden. Wulff bringt sie im Vertrauen darauf, dass er über kurz oder lang gehört wird. Geduld ist eine Tugend, die in der Politik benötigt, wer es in ihr schaffen will; und wer etwas schaffen will. Der Präsident will das schaffen, so viel ist sehr wahrnehmbar geworden: Er will beharrlich eine Brücke bauen zwischen Wählern und Entscheidungsträgern. Deren Entfremdung ist gegenseitig, auch deren Ohnmachtsgefühle sind es. Wulffs Wort von der Entmachtung der Parlamente und sein Hinweis auf den Wert von Parteitagen hat etwas Programmatisch-Konstitutives. Dafür ist er, nach Herkunft und Gesinnung und Gesittung ein Konservativer im besseren, im bewahrenden Sinn, da. Und am richtigen Platz in dieser Zeit, die auch die nach Horst Köhler ist, der bei allem, was ihn vielen sympathisch macht, das Präsidentenamt fast ruiniert hat. In Gestus, Habitus und Tonalität ist Wulff dagegen nahe am Ideal dessen, was er verkörpern muss, weil es die von ihm zutreffend beschriebene „Sehnsucht nach Seriosität, nach Verlässlichkeit und Kontinuität“ gibt.

Ihm ist geraten worden, mehr Profil zu zeigen. Abgesehen davon, das das Wort Profil zu einer Oberflächenbeschreibung führt, gilt für Wulff: Er ist langsam wachsendes Holz. Seine Härte soll niemand unterschätzen. Ihm muss keiner sagen, dass er sich mehr trauen darf. Es ist allerdings eine Frage des richtigen Zeitpunkts, beim Bundespräsidenten mehr als bei jedem anderen. Einer, der das Amt erhalten will, der es sich erhalten will, kann damit umgehen. Ein Profi halt. Wulff lässt schon von sich hören.

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