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Meinung: Ein jeder trage seine Last

Die Veränderung der Alterspyramide erzwingt Reformen. Die Schweiz hat es vorgemacht/ Von Oswald Metzger

Wer langfristig eine auf ständiges Wachstum gegründete Volkswirtschaft haben will, sollte drei Grundbedingungen erfüllen. Die aktive Generation muss über ihre Arbeitsproduktivität das eigene Einkommen erwirtschaften, einen ausreichenden Kapitalstock für künftiges Wirtschaften bilden und das Solidarsystem finanzieren. Es ist aber völlig kontraproduktiv, der arbeitenden Bevölkerung ständig höhere Produktivitätsanteile abzuzweigen, damit lebensstandardsichernde Renten und Pensionen und andere Sozialtransfers finanziert werden können.

Das ist der Fluch der sich verändernden Alterspyramide. Hohe Sozialtransfers bedingen hohe Arbeitskosten, weil der Faktor Arbeit der Lastesel des Systems ist. Hohe Arbeitskosten wiederum führen zur Rationalisierung, die wieder Arbeitslosigkeit und höhere Arbeitskosten bedingt – ein Teufelskreis! Die Finanzierung der Alterseinkommen lässt sich nur mit einem komplexen Wirkungsmechanismus sichern. An erster Stelle muss das Aufbrechen des überregulierten Arbeitsmarktes stehen und eine stärkere Lohnspreizung. Auch gering qualifizierte Erwerbsfähige müssen von Arbeit im ersten Arbeitsmarkt leben, nicht von Arbeitslosen und Sozialhilfe. Das rührt an viele sozialromantische Tabus, ist aber unabdingbare Voraussetzung für mehr Beschäftigung.

Im Rentensystem selbst sind viele Illusionen zu begraben. Den Eckrentner, der 45 Jahre lang Vollzeit gearbeitet und immer das Durchschnittseinkommen verdient hat, gibt es bei heutigen Neurentnern praktisch nicht mehr, denn die Lebensarbeitszeit hat sich drastisch verkürzt.

Kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten müssen her. Lebenslanges Lernen ist gefragt, nicht eine überlange Erstausbildung. Es ist schlicht unbezahlbarer Irrsinn, dass bei uns etwa Gymnasiallehrer mit 28 bis 30 Jahren ihr erstes Geld verdienen, mit knapp 60 Jahren aber im statistischen Schnitt schon gute Pensionen beziehen.

Beamte – und Abgeordnete! –, Selbstständige, Arbeitnehmer: Sie alle gehören in ein obligatorisches Rentenversicherungssystem, das dann die Basis des Alterseinkommens der gesamten Gesellschaft wäre. Die Schweizer machen das vor. Ihr Modell hat einen besonderen Charme, weil es den Sozialausgleich zwischen Arm und Reich im Rentensystem organisiert. Es existiert keine Beitragsbemessungsgrenze, Reiche zahlen also sehr viel ein. Der erworbene Rentenanspruch ist aber gedeckelt auf maximal 1410 Euro im Monat. Weil alle einzahlen, ist der Beitrag aber mit je 5% für Arbeitgeber und Arbeitnehmer halb so hoch wie bei uns. Man stelle sich in Deutschland eine zehnprozentige Senkung der Arbeitskosten und ihre Wirkung für den Arbeitsmarkt vor!

Natürlich muss die Lebensarbeitszeit auch länger werden. Wir können nicht, bezogen auf unsere Lebenserwartung, immer kürzer arbeiten, das wäre nicht finanzierbar. Allerdings brauchen wir keine starren Altersgrenzen, im Gegenteil. In vielen Branchen ist es sinnvoll, Schritt für Schritt aus der Vollzeitarbeit in den Ruhestand zu gleiten. Vielerorts – nicht nur in der Politik – sind auch 70-Jährige noch gefragt. Wer früher gehen will, weil er sich’s leisten kann, soll das mit entsprechend hohen Leistungsabschlägen tun können.

Im Schweizer Rentensystem gibt es seit 1985 auch eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge. Wer mehr als 24000 Franken Jahreseinkommen erzielt, muss als Arbeitnehmer einer Betriebsvorsorgekasse beitreten. Die Schweiz will mit ihrem Pflichtsystem langfristig ein Rentenniveau von 60% des früheren Bruttoeinkommens erreichen. Wem das zu wenig ist, der kann in Aktien oder Immobilien investieren und dabei Steuern sparen.

Klar ist, dass das Steuerrecht die Altersvorsorge in alternden Gesellschaften flankieren muss. Zum einen bei der Honorierung der Erziehungsleistung von Eltern, aber natürlich auch bei der zurückhaltenden Besteuerung aller langfristigen Kapitalanlagen, die dem Sparen fürs Alter dienen. Das aktuelle Hickhack um die Spekulationssteuer zeigt, dass dieser Zusammenhang von der Bundesregierung zu wenig gesehen wird.

Ab 2005 muss der Gesetzgeber Renten und Pensionen steuerlich gleich behandeln. Diese Frist hat das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Dann wird mit einer weiteren Illusion aufgeräumt werden müssen. Die „Riester-Rente“, die zu Recht als erster wichtiger Systemwechsel von der Umlagefinanzierung zum Kapitaldeckungsverfahren bezeichnet wird, muss als Vorsorgepflicht ausgestaltet werden. Hier ist Ulla Schmidt ausdrücklich beizupflichten. Denn wenn die Rentenbeiträge nicht mehr aus versteuertem Einkommen bezahlt werden müssen wie bisher, wird es für Millionen Arbeitnehmer mehr Nettogehalt geben. Damit dieses Mehr dann nicht einfach konsumiert, sondern fürs Alter angespart wird, ist eine Vorsorgepflicht zwingend – allerdings mit wesentlich mehr Freiheit bei der Auswahl der Vorsorgeprodukte. Sonst bezahlen im Alter die Vorsorgenden der „Konsumfraktion“ über ihre Steuern noch die Sozialhilfe.

Der Autor war bis September 2002 haushaltspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Foto: Ullstein

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