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Meinung: Ein Mäuschen namens Europa Von Clemens Wergin

Natürlich hat kein Staat ein Recht darauf, auf Dauer Gas zu einem Preis weit unter dem des Weltmarktes von Russland geliefert zu bekommen. Wie die russische Führung und der von Wladimir Putin kontrollierte Energiekonzern Gasprom aber mit der Ukraine umspringen, kommt einem Exempel gleich.

Natürlich hat kein Staat ein Recht darauf, auf Dauer Gas zu einem Preis weit unter dem des Weltmarktes von Russland geliefert zu bekommen. Wie die russische Führung und der von Wladimir Putin kontrollierte Energiekonzern Gasprom aber mit der Ukraine umspringen, kommt einem Exempel gleich. Es ist eine Botschaft etwa an Weißrussland (das sein Gas weiter zu Vorzugspreisen erhält) und andere Vasallenstaaten Moskaus. Sie lautet: Seht her, was passieren kann, wenn ihr euch widersetzt, wenn ihr politisch auf Distanz geht. Es ist klar – und sollte auch Berlin alarmieren –, dass Energiefragen hier als politisches Erpressungsmittel benutzt werden. Anders ist nicht zu erklären, warum Russland sich nicht darauf einlassen wollte, den von der Ukraine zu bezahlenden Gaspreis schrittweise an das Weltmarktniveau anzugleichen.

Aus Europa war bisher wenig mehr zu hören als Sorge um die eigenen Gaslieferungen. Dabei hatte die EU vor einem Jahr die orangene Revolution noch tatkräftig unterstützt und die Loslösung der Ukraine von Russland befördert. Nun tut Europa wenig, um der neuen Führung in der Ukraine beizustehen. Das Eintreten für Demokratie und Freiheit endet offenbar da, wo die eigenen Gasinteressen anfangen. Dabei ist Kiew in einer äußerst schwierigen Situation. Schließlich wird es sich wohl langfristig in einer strategischen Mittellage zwischen Moskau und Brüssel einrichten müssen, weil Europa den Ukrainern keine Beitrittsperspektive eröffnen wollte – was mehr mit Europa und seiner momentanen Krise zusammenhängt als mit der Ukraine.

Es gibt gute Gründe, die Ausdehnungspolitik der EU zu überdenken, deren Erfolg darin bestand, die Länder an der Peripherie Europas mithilfe von Beitrittsperspektiven zu stabilisieren. Europa ist in Gefahr, sich zu überdehnen. Damit aber ein Modell der privilegierten Partnerschaft – etwa für die Türkei und die Ukraine – ähnlich stabilisierende Wirkungen entfaltet wie ein EU-Beitritt, muss Europa deutlich machen, dass es sich auch um die Staaten intensiv kümmert, die vor der Tür bleiben. Das heißt nicht, sich bedingungslos auf die Seite Kiews zu schlagen. Aber zumindest muss die EU eine aktive Vermittlerrolle einnehmen. Der Eindruck, dass Europa beim ersten Gegenwind mucksmäuschenstill wird, schadet der Union — auch, weil es den sich gerade wieder regenden imperialen Impuls Russlands bestärkt.

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