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Das Eisenbahnbundesamt erteilt der S-Bahn die Betriebsgenehmigung bis 2013. Das Unternehmen habe sich in diesem Jahr bemüht, die Sicherheit und Instandhaltung der Züge zu verbessern, so die Begründung.

© dapd

Das gestohlene Jahr: Ein Pendlerleben mit der S-Bahn

In der letzten Woche des alten Jahres musste ich allein 205 Minuten zusätzlich warten. Wenn das so bleibt, werde ich bis zur Rente ein knappes Jahr auf S-Bahnsteigen verbracht haben.

Sonntag 45 Minuten, Montag 20, Dienstag 35, Mittwoch 40, Donnerstag 65. Macht dreieinhalb Stunden zusätzliche Wartezeit allein in der letzten Arbeitswoche des alten Jahres. Wenn das so bleibt, werde ich nach einem Jahr unter Abzug von Urlaubs- und Schlafenszeiten zehn Tage auf S-Bahnsteigen verbracht haben, bis zur Rente ein knappes Jahr. Zusätzliche Zeit, denn als Pendler am Rand von Tarifgebiet B kenne ich den Notfahrplan nicht nur, sondern lebe ihn auch.

Klaus Wowereit hätte für immer einen Platz auf meinem Wahlzettel erobert, wenn ich ihn auf einem Bahnhof getroffen hätte. Der letztmögliche Termin wäre Montagmorgen gewesen, als die S-Bahn vier Strecken abgehängt und zugleich die Preise erhöht hat. Ersatzweise hätte sich der Regierende vor einer Fernsehkamera in Rage reden oder wenigstens bei offener Bürotür so laut mit dem Bahnchef telefonieren können, dass es die Stadt mitbekommen hätte. Irgendein Donnerwetter mit weithin sichtbaren Blitzen, die alle negative Energie der Hunderttausenden in den Bahntower ableiten oder sonst wohin, wo sie nicht die Falschen trifft, nämlich die armen S-Bahner, deren unermüdliche Herzdruckmassage die S-Bahn vor dem Tod bewahrt.

Vielleicht wäre durch einen Wowereit’schen Ausbruch dieses gefühlte Gipsbein etwas leichter zu ertragen, das die S-Bahn der Stadt angelegt hat und unter dem es täglich stärker juckt. Da hätte Wowereit die Geplagten kratzen können. Angeblich telefoniert er ja regelmäßig mit dem Bahnchef. Aber wenn die stille Diplomatie nicht hilft, könnte er’s gern mit der lauten versuchen. Bei der Flugroutendemo in Lichtenrade war er doch auch.

In der 2010er-Comedy-Hitparade, die das Radio zu Silvester brachte, belegte der S-Bahn-Chef den zweiten Platz. Qualifiziert hatte er sich mit der im Oktober kundgetanen Überzeugung, „dass es in diesem Winter besser laufen wird“. Richtig hätte es heißen müssen, dass die Kunden in diesem Winter besser laufen sollten. Aber das wissen sie ja nicht, weil die Anzeigen ihnen Züge verheißen, die unterwegs von bösartigem Flugschnee gestoppt oder wegen der hohen Altmetallpreise längst verschrottet worden sind.

Manchmal gibt es wirklich Indizien, dass man besser läuft. Etwa vor einer Woche, als in Schöneweide ein Zug Richtung „Potzdamer Platz“angezeigt wurde. Auf subtilere Gags fallen auch erfahrene Notfahrplaner herein. Wenn sie zum Beispiel in Neukölln aufgefordert werden, für den (eigentlich ganz anderen) Weg nach Adlershof erst zum Treptower Park zu fahren. Und am Treptower Park nach 25 Minuten Wartezeit aufgefordert werden, nach Neukölln zu fahren. Früher wären in diesem Moment Paola und Kurt Felix um die Ecke gebogen, gerade noch rechtzeitig, bevor die Verstoßenen das verwaiste Aufsichtshäuschen demoliert hätten. Aber an jenem Freitagabend im Advent – 23.30 Uhr, minus zwölf Grad, Schneegestöber – verstand ohnehin niemand mehr Spaß. An dem Zug, der irgendwann kam und nach irgendwo fuhr, stand auf Klebezetteln „Wagen heizt nicht“. Halb so wild, da die Fahrgäste längst kochten vor Wut. Nur ein paar Touristen saßen introvertiert auf ihren Koffern. Sie wollten nach Schönefeld und grübelten wohl darüber, wie sie ihren Lieben daheim den verpassten Flug erklären sollten. Diese Räuberpistole würde ihnen doch niemand glauben. Wahrscheinlich wären sie und die ganze Pechvogelschar jener Nacht besser dran gewesen, wenn die S-Bahn ihr müdes Material als günstige Unterkünfte vermieten würde. Aber dafür müsste die Heizung funktionieren.

Da die Langmutprobe der S-Bahn rund eine Million Menschen betrifft, wären bei einem Stundensatz von sieben Euro in einer Woche wie meiner 25 Millionen Euro weggewartet worden. Dafür bekäme man 36 000 Jahreskarten. Stefan Jacobs

Pendlerärger in Potsdam: Seite 11

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