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Meinung: Ein Requiem für New York

Im Gedenken an 9/11 rückt die Welt zusammen – und die Ideologie ins Abseits

Von Caroline Fetscher

Die Leute", sagte eine amerikanische Krisentherapeutin im Interview mit der BBC, „können den Tag begehen, wie sie wollen." Sie sagte das ein wenig bedauernd, denn sie wollte möglichst viele Angehörige der Toten am Ground Zero versammeln. Aber eine Witwe etwa hatte beschlossen, sich mit ihrem kleinen Sohn Komödien auf Video anzusehen, das Telefon klingeln zu lassen und das Fernsehprogram abgeschaltet.

Wer sich nicht abschottete, den holten die Ereignisse im wahrsten Wortsinn ein. Als sei alles gestern nochmal geschehen, quoll der Qualm des brennenden World Trade Centers von den Titelseiten der Zeitungen der westlichen Welt und rauchte auf den Bildschirmen. Die „New York Times“ machte aus der Elf im Datum 11.9. zwei stilisierte Türme.

Vor allem ging es darum, der Zerstörung etwas entgegen zu setzen. An den Platz zerborstener, gesprengter Symbole sollten heilende, intakte, sinnvermittelnde Zeichen treten. Weltweit wurden sie über die Medien vermittelt: mit tausenden Rosen, Kerzen, Flaggen, Chören. New Yorks Ex-Bürgermeister Giuliani begann die wohl bewegendste Zeremonie des Tages: das Verlesen der n aller Opfer, ob Küchenhilfe, Börsenmakler, Sekretärinnen oder Buchhalter. Alle Namen, ob englischen, hispanischen, chinesischen, deutschen Ursprungs klangen durch den amerikanischen Akzent der Vorleser verwandt.

„Ground Zero", das zerstörte Gelände, in das ein Terrorkomet eingeschlagen war, rekonstruierte sich gestern als Pilgerstätte. Archaisch mutete das Ritual an, in dem ein Marsch Uniformierter um einen Kreis zog, eine fiktive Mitte der Mitte, wo – klein – drei amerikanische Flaggen eingepflanzt wurden wie Setzlinge.

Die nationalistischen Zeichen blieben selbstverständlich nicht aus: die gigantische US-Fahne an einer Hochhausfassade in New York, die britische Flagge auf dem Altar von Londons St.-Pauls-Kathedrale als sei sie ein Teil des Sternenbanners. Doch im Gegensatz zum massiven Auftauchen der Flaggen in den Tagen und Wochen nach dem 11. September 2001 blieben sie jetzt mehr im Hintergrund, auch bei den deutschen Gedenkfeiern, kirchlichen und nichtkirchlichen, und auch auf der Website des „Rolling Requiem", eingerichtet für die Kette von 190 Aufführungen von Mozarts Requiem in allen Zeitzonen des Globus. 15 000 Musiker von Belgrad bis Boston, Moskau bis Manaus führten das Werk auf: eine Art „Sound One", der, wiewohl westlich, klassisch, traditionell, einen weltumspannenden Klang von Trauer wenigstens andeutete.

Es war kein Tag der kämpferischen Töne, kein Tag der Ideologien. Sogar die im pakistanischen Peshawar erscheinende „Frontier Post“ brachte den Text eines Arab-American, der den Lesern berichtete, wie viel Zivilcourage nicht-arabische Amerikaner zeigen, um Araber gegen Vorurteile in Schutz zu nehmen. Auch George W. Bush’s Team gab kund: „Dies ist nicht der Moment, in dem der Präsident andere Staatsoberhäupter beeinflussen will." Um die leidtragenden Familien solle es gehen, gedämpfter als die Falken gedacht haben mochten. So schien es, symbolisch, rhetorisch, musikalisch den einen zarten Weltkonsens zu geben, dass die Erinnerung an diesen Massenmord nicht mit der Mobilmachung gegen die eine oder andere Seite verbunden, dass solche Stunden nicht missbraucht werden dürfen.

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