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Meinung: Ein Schluck Kreativität für 2007

Irak, Iran, USA und Europa: All das kann sich fügen Von Irshad Manji

Es ist wieder Januar, jene Zeit der Kater, weil man zu viel getrunken, und der Schuldgefühle, weil man zu wenig gedacht hat. Ich bin Muslimin und trinke nicht. Deshalb werde ich nicht zu Partys eingeladen und habe genug Zeit nachzudenken. Daher möchte ich ein paar Ideen anbieten für die hartnäckigsten Probleme 2007 – das heißt, wie wir Irak stabilisieren, Iran beruhigen, Amerika zähmen und Europa bedeutungsvoll machen können.

Wie kann man das Chaos im Irak aufräumen? Die Iraker selbst sind uneins. Manche fordern den kompletten Rückzug westlicher Soldaten, andere meinen, die Zahl der Koalitionstruppen sollte erhöht werde. Manche bestehen auf mehr Zuständigkeit von Iraks Sicherheitsorganen, während andere sagen, das muss warten, bis sie besseres Training und bessere Ausrüstung erhalten haben.

Wenn es in diesem höllischen Krieg um Demokratie geht, warum sollte man im Irak und den USA nicht zeitgleich Referenden über den zukünftigen Kurs abhalten? Politiker beider Länder würden ins jeweils andere gehen, um die Menschen dort zu überzeugen. Amerikaner müssten aus der grünen Zone in Bagdad herauskommen – was die Iraq Study Group kaum getan hat – und irakische Politiker müssten durch jene US-Staaten touren, die am meisten Soldaten im Irak verloren haben. Selbst, wenn nichts bei diesem kulturübergreifenden Referendum herauskäme, würden Menschen beider Nationen etwas übereinander lernen. Wie: „Wow, die sind ja genauso durcheinander wie wir.“ Empathie kann nur gut sein.

Das bringt mich zu einem anderen Problem: Amerikas Macht. Ich gehöre nicht zu jenen, die behaupten, Amerika sei die Wurzel allen Übels. Aber als globaler Bürger, der von Washingtons Entscheidungen betroffen ist, habe ich das Recht, folgende Idee vorzuschlagen: Die US-Verfassung sollte mit einem Zusatz versehen werden, so dass jeder Präsident, der den Krieg erklärt, ein Familienmitglied an die Front schicken muss. Man kann sich den Druck vorstellen, den der Präsident bei der nächsten Familienfeier aushalten muss. Der Preis für einen voreiligen Krieg ist, im eigenen Haushalt zum Ausgestoßenen zu werden. Das sollte sicherstellen, dass der oberste Befehlshaber zweimal nachdenkt.

Das heißt nicht, dass Europa sich zurücklehnen kann. Die EU kann ehrlicher Makler zwischen Amerika und Iran werden, um das nukleare Wettrüsten zu verhindern. Der Schlüssel liegt bei Iraks obersten Schiitenführer, Großajatollah Ali al Sistani. Die Europäer sollten hinter den Kulissen bei Sistani vorstellig werden, damit der eine Fatwa gegen Irans Bemühungen erlässt, Nuklearmacht zu werden. Sistani könnte betonen, dass Irans Griff nach Atomtechnik die alte schiitische Tradition des Leidens um der Erlösung willen konterkariert. Aus der Perspektive der Schiiten waren es immer die Sunniten, die Imperien gebildet und Macht angehäuft haben. Die Schia hingegen zieht moralische den politischen Siegen vor. So erging es der Familie des Propheten Mohammed, als sie vor Hunderten von Jahren gegen einen sunnitischen Tyrannen kämpfte. Der Kampf ging verloren, seitdem haben Schiiten versucht, dem einen Sinn zu geben. Keiner möchte leiden, aber wollen die Schiiten zu Sunniten werden, indem sie sich kriegerischer Mittel bedienen? So könnte Sistani argumentieren.

Die Iraner hören immer mehr auf Sistani, weil er ein respektierter Rechtsgelehrter ist – und nicht wie die klerikale Klasse im Iran von der Macht korrumpiert wurde. Die Frage ist, ob der Großajatollah mitspielt. Da er sogar Fragen von Fox News auf seiner Webseite beantwortet (sistani.org), würde er wohl auch mit der EU reden. Seine Hoheit gibt Fatwas zu jedem Problem heraus, auch zu sehr persönlichen. Analer Geschlechtsverkehr? Dazu braucht man die Zustimmung der Ehefrau, auch wenn es unter der menschlichen Würde beider Partner ist. Katzenhaare auf der Kleidung während des Betens? Erlaubt. – Natürlich kann man nicht immer geradlinige Antworten erwarten. Sistanis Webseite rät jungen Männern, sich nicht mit Mädchen einzulassen, aber wenn man sich schon mit einem angefreundet hat, sollte man sie auf Zeit heiraten, um seine Lust auszuleben. Aber bitte nicht ihre Hand schütteln. Das habe ich, glaube ich, verstanden.

Ich bin auch kein Diplomat. Davon hat die EU aber gerade genug. Ihre Botschafter sind in der Lage, Fatwas über komplizierte geopolitische Themen zu dekonstruieren und zu interpretieren.

Also, nehmt einen weiteren Drink, auch einen für mich. Lasst 2007 das Jahr gemeinsamer, mutiger und kreativer Interventionen werden. Es soll niemand sagen, wir hätten keine Ideen mehr.

Die Autorin ist Fellow der European Foundation for Democracy. Auf Deutsch erschien zuletzt „Der Aufbruch: Plädoyer für einen aufgeklarten Islam“ (Eichborn). Aus dem Englischen von Clemens Wergin.

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