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Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Ein SPRUCH: Der Missbrauch und sein Opfer

Ein Krankenpfleger an der Charité wurde einer Straftat verdächtigt - und entlastet. Jetzt sollte er wieder arbeiten gehen dürfen

Medienopfer zu sein, ist in Mode. Doch es ist wie oft bei Opfern. Die, die es geworden sind, sprechen nicht darüber. Schon gar nicht schreiben sie Bücher und reden auf Podien. Opfer haben meist andere Sorgen. Wie Herr B., der zu Hause sitzt und darauf wartet, dass ihn die Charité wieder beschäftigt. Erst hat ihn die Öffentlichkeit verurteilt, dann sein Arbeitgeber, die Klinik. Die einzigen, die ihn noch nie verurteilt haben, sind Richter.

Herr B. ist jener Krankenpfleger, der sich auf der Kinderrettungsstation über Mädchen hergemacht haben soll. Kaum war die Nachricht Ende 2012 in der Welt, geriet die Charité unter Druck. Gemäß einem alten Krisen-PR-Motto („regret, restitution, reform“) wurden Opfer bedauert, Eltern eingeladen, Expertenrunden eingerichtet. Man beteiligte Profi-Alarmisten wie die von „Innocence in Danger“ und beauftragte eine Kommunikationsagentur. Das alles zeigt, man sorgte sich weniger um die Mädchen oder einen womöglich falsch verdächtigten Pfleger. Man sorgte sich um den eigenen Ruf.

„Wir waren gut beraten, vorsichtig zu sein und den Pfleger nicht an den Pranger zu stellen“, sagte Charité-Vorstand Karl Max Einhäupl damals dem Tagesspiegel. Das war, bevor Staatsanwälte die Vorwürfe zerpflückten und Gerichte die später ausgesprochene Kündigung kassierten. Denn natürlich wurde der Mann an den Pranger gestellt. Abwarten konnte man nicht. Es gab ja diesen Druck.

Herr B. ist entlastet. Die Klinikleitung will das nicht wahrhaben, spricht davon, es stünde Aussage gegen Aussage. Dabei wurden die Anschuldigungen von der Justiz gewogen und für zu leicht befunden. Auch taugt der Hinweis nichts, das letzte Urteil des Arbeitsgerichts sei nicht rechtskräftig. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Mit einer Beschwerde dagegen würde die Klinik auf die Nase fallen. Es ist aus für die Charité. Die Klinik sollte sich damit befassen, jemandem Unrecht getan zu haben. Großes Unrecht.

Was man jetzt machen kann, steht in keinem Krisen-PR-Handbuch. Es geht nicht mehr darum, die Medienmaschine zu ölen. Hier helfen keine Feigenblattkommissionen, keine Hotlines und keine großen Namen aus der Politik. Hier hilft nur der innere Kompass und menschliches Einfühlen. Man kann ja mal drüber reden. Über die Situation des Mannes und die der Klinik. Vielleicht gibt es Verständnis füreinander.

Die Charité hat Angst. Angst vor der nächsten Schlagzeile, die es gäbe, wenn der Pfleger zurück an die Arbeit geht. Man könnte ihr begegnen, indem Herr B. zum Beispiel nicht mehr auf Kinderstationen geschickt wird. Und wenn es trotzdem Vorwürfe hagelt, der Boulevard brodelt und der Druck so stark wird, dass jede Reaktion falsch wäre: Einfach mal standhalten und nichts tun. Es geht schon wieder vorbei.

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