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Innenhof des Bundestages-

© Annika Bauer

Ein SPRUCH: Ein Präsident hält dicht

Viele würden die Immunität von Bundestagsabgeordneten am liebsten ganz loswerden, zumal, wie der Fall Edathy zeigt, eine Karriere auch ohne rechtskräftiges Urteil schnell enden kann. Andererseits: Warum sollten wir nicht wissen, wie viele Abgeordnete ins Visier der Strafverfolger rücken?

Sie müssen einem leid tun, die Damen und Herren Bundestagsabgeordneten. Während ein Strafverfahren sonst eine höchstpersönliche Angelegenheit ist, etwas, das man selbst vor Freunden und Familie geheim halten könnte, wird jede Ermittlung gegen einen Parlamentarier, unabhängig vom Delikt, zu einer kleinen Staatsaffäre. Schuld ist ausgerechnet das, was die Volksvertreter schützen soll: ihre Immunität. Für die Abgeordneten hat sie sich von einem Vorrecht, das ihren Status sichern und sie vor willkürlicher Verfolgung durch die Exekutive bewahren sollte, zu einer Belastung entwickelt.

Die Formalien rund um die Immunität und ihre Aufhebung vergrößern zwangsläufig den Kreis von Mitwissern. Im Medienzeitalter kann das tödlich sein. Viele würden die Immunität am liebsten ganz loswerden, zumal jetzt, wie der Fall Edathy zeigt, eine Karriere auch ohne rechtskräftiges Urteil schnell enden kann.

Andererseits: Warum sollten wir nicht wissen, wie viele Abgeordnete ins Visier der Strafverfolger rücken? Ist dies nicht ein Indiz für den „Anstand“ in unserem Parlament? Wenn nun in dieser Woche Bayern-Manager Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung vor Gericht steht – wäre es da nicht sinnvoll zu erfahren, wie viele unserer gewählten Abgeordneten sich mit solchen Steuer-Ermittlungen herumplagen müssen? Und wie sie enden?

Gleichwohl hält der Bundestag traditionell dicht. Er veröffentlicht nur Zahlen zu Immunitätsfällen, wenn es um Durchsuchungen oder Untersuchungshaft ging. Die kleineren Fische schlüpfen durchs Netz. Denn diese Fälle brauchen die Staatsanwaltschaften beim Bundestagspräsidenten Norbert Lammert nur anzuzeigen. Der registriert die Eingangszeit, schickt ein Fax retour und leitet die Sache an den Immunitätsausschuss. Erhebt innerhalb von 48 Stunden niemand Einwände, haben die Ermittler freie Bahn.

Diskretion ist oberstes Gebot. Informiert sind regelmäßig Lammert und sein Büro, die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, die den Ausschuss unterstützen, und die Ausschussmitglieder selbst. Nicht mal ihre engen Mitarbeiter dürfen sie einweihen geschweige denn mit in die Sitzungen nehmen.

Natürlich hat der Bundestag ein Recht, die Auskunft zu verweigern. Oder umgekehrt: Niemand hat ein Recht, vom Gesetzgeber Auskünfte zu verlangen, die dieser nicht geben will. Deshalb darf der Ausschuss schweigen. Anders könnte es sich jedoch mit Norbert Lammert verhalten: Lammert ist ein Abgeordneter, den das Parlament zum Chef erkoren hat. Zugleich steht er damit an der Spitze einer Behörde, der Bundestagsverwaltung. Er übt das Hausrecht und die Polizeigewalt aus, so steht es im Grundgesetz. In seiner amtlichen Eigenschaft müsste er mitteilen, wie es um die Kriminalitätsstatistik im hohen Hause steht. Lammert schweigt auch. Aber eigentlich darf er nicht.

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