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Ein SPRUCH: Rechtlich bedenklich

Zwischen Recht und Unrecht hat sich in Deutschland eine feste dritte Kategorie etabliert, die der rechtlichen Bedenklichkeit. Bundespräsident Christian Wulff hat sie diese Woche bemüht, ebenso der bundesweit bekannte Berlin-Neuköllner Bezirkspräsident Heinz Buschkowsky.

Zwischen Recht und Unrecht hat sich in Deutschland eine feste dritte Kategorie etabliert, die der rechtlichen Bedenklichkeit. Bundespräsident Christian Wulff hat sie diese Woche bemüht, ebenso der bundesweit bekannte Berlin-Neuköllner Bezirkspräsident Heinz Buschkowsky. Wulff findet die massiven Aufkäufe von Anleihen klammer Staaten durch die Europäische Zentralbank (EZB) rechtsbedenklich, Buschkowsky den Umgang der Gerichte mit Bußgeldern wegen Alkoholausschanks an Minderjährige. Wulff fordert die EZB auf, zu ihren „Grundsätzen zurückzukehren“, Buschkowsky wünscht sich, dies mögen auch die Berliner Richter tun, kann es nur nicht so fein sagen.

Gemein ist der Kritik, dass sie sich mit Institutionen anlegt, deren Unabhängigkeit sakrosankt ist oder mindestens sein sollte. Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union agiert die EZB weisungsfrei. Die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich (Artikel 130), „nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank (…) bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“. Im EU- Kontext wird der deutsche Bundespräsident, auch wenn er verfassungsmäßig nicht zur Regierung gehört, als Teil der Exekutive aufgefasst. Wenn Wulff mit seiner Rede die EZB-Organe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht beeinflussen wollte – warum hat er sie dann so gehalten? Und auch Heinz Buschkowsky möchte Richter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinflussen. Obgleich Artikel 97 des Grundgesetzes selbst Schwachmaten Unabhängigkeit garantiert.

Hinter Institutionenkritik verbirgt sich meist Kritik an Zuständen. Bei Wulff ist es die Macht der Finanzmärkte und die Ohnmacht der Politik, bei Buschkowsky, dass mancher Kneipenwirt es immer noch als seine Aufgabe ansieht, Jugendliche abzufüllen. Zustände sind schwer zu ändern, bei Institutionen fällt es leichter. Das macht die Kritik so plausibel: Man muss bloß dort etwas ändern, schon ändern sich die Zustände. Glaubt man gerne. Nur kann die EZB den Euro nicht retten, das Amtsgericht Tiergarten nicht den Alkoholabusus in Neukölln beenden.

Institutionen, gerade die unabhängig organisierten, sind zu wichtig, um ihnen Verantwortung zuzuschieben, die sie nicht tragen können. Dadurch schwächt man sie. Kritik an ihnen ist darum nicht verboten. Man sollte sich nur überlegen, ob sie dem eigenen Anliegen helfen oder am Ende doch nur Ressentiments abgreifen soll. Die Unabhängigkeit der deutschen Richterschaft ist ein starker Baum, die der EZB noch eine zarte Pflanze. Eigentlich wollte Wulff auch nur sagen, dass die Finanzmärkte Monster sind. Aber das hatte schon ein anderer gesagt. Und so muss man beim Juristen Wulff an Tucholskys Diktum denken: Wenn die mal nichts – oder hier: nichts Neues – haben, Bedenken haben sie immer.

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