zum Hauptinhalt
Die beiden Seiten von Jonathan Meese: Hier der Privatmensch, der am liebsten allein ist, dort die Bühnenfigur, die den Hitlergruß zeigt. Auch im Gerichtssaal, wenn er sich wegen Nazi-Symbolen verantworten muss. Nicht weniger als die Freiheit der Kunst stand auf dem Spiel.

© dpa

Ein SPRUCH: Zum Erzglück

Jonathan Meese macht den Hitlergruß. Das darf er, denn er ist Künstler.

Von Fatina Keilani

Wer zum ersten Mal auf die Homepage von Jonathan Meese geht, bekommt einen Schreck. Naziaufmachung! Schwarz- weiß-rot, überall Kampfbegriffe, und dann trägt dieser Künstler auch noch ein Eisernes Kreuz um den Hals. Das ist der Mann, der in der vergangenen Woche vom Strafgericht in Kassel freigesprochen wurde, obwohl er auf offener Bühne den Hitlergruß gezeigt hatte. „Diktatur der Kunst siegt über Demokratie“, schreit seine Webseite triumphierend in Pseudofrakturschrift.

Einigen zarten Gemütern erscheint es tatsächlich so. Dass Künstler uns fast alles zumuten dürfen, das empfindet mancher als Diktatur der Kunst. Man kann es aber auch andersherum sehen. Erst unsere Demokratie hat die Kunstfreiheit hervorgebracht, ohne die Meese seine „Diktatur“ nicht hätte errichten können. Die Verfassung schützt die Kunst so gut wie uneingeschränkt, eine Spätfolge der unseligen Erfahrungen mit den beschränkten Nazis. Die Meinungsfreiheit findet immerhin ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen – die Kunstfreiheit nicht. Bei der Kunst ist praktisch alles möglich. Es ist auch kaum anders denkbar. Wer wollte sich hinstellen und bestimmen, was „schlechte Kunst“ ist und was gute? Da wäre man sofort wieder bei den Nazis mit ihrer „entarteten“ Kunst.

Schon früh haben Verfassungsrichter außerdem die Unterteilung in den „Werkbereich“, also das künstlerische Schaffen, und den „Wirkbereich“, etwa die öffentliche Darbietung, etabliert. Ob dabei Deutschland verunglimpft wird, ist erst mal egal. Das durfte schon die Punkband Slime, deren Lied „Deutschland muss sterben“ 2000 vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls unter den Schutz der Kunstfreiheit gestellt wurde – was die Richter der Berliner Vorinstanzen völlig verkannt hätten, so die Karlsruher Richter. Das Lied sei eine „plakative, drastische Kritik mit satirischem Einschlag an gesellschaftlichen und politischen Zuständen in Deutschland“. So ähnlich ist wahrscheinlich auch Meeses Aktion zu sehen.

Es kommt eben drauf an, wie es gemeint ist. Zeigt der gemeine Neonazi auf der Straße den Hitlergruß, so macht er sich strafbar. Der Künstler nicht. Wer weiß, was Meese dazu bewogen hat. Vielleicht brauchte er bloß Aufmerksamkeit; seine Webseite hat vielleicht nicht gereicht, obwohl dort auch Pickelhauben, Gummititten und allerhand Manifeste zu finden sind. Und liest man sich durch die Internetseite, hat das Ganze durchaus amüsante Seiten. Alles wird dort veräppelt, überzogen, gerne noch durch die Vorsilbe „Erz-“ gesteigert. Ist das nun gut oder schlecht? Das ist egal. Kunst ist, wenn der Künstler es dafür hält. Meese hat die Sache nach dem Urteil schönstens selbst auf den Punkt gebracht: „Ich bin geschmacklos und habe das Recht dazu.“ So ist es, zum Erzglück.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false