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Griechenland-Krise: Ein System geht bankrott

Anders als ihre Politiker verstehen die meisten Griechen den Ernst der Lage. Sie sind zermürbt von der Krise. Aber Griechenland droht nicht nur der wirtschaftliche Zusammenbruch, sondern auch ein Kollaps des politischen Systems.

Für Griechenlands Gewerkschaftsfunktionäre war der gestrige Tag eine herbe Enttäuschung. Hunderttausende Demonstranten wollten sie mobilisieren gegen den Sparkurs der Regierung. Aber es kamen nicht einmal 20 000. Noch im vergangenen Jahr war es den Arbeitnehmerorganisationen gelungen, mehr als zehn Mal so viele Menschen zu motivieren.

Die geringe Resonanz der Protestaufrufe zeigt nicht, dass die Griechen mit der Sparpolitik einverstanden sind. Vielmehr beginnen sie zu resignieren. Die Menschen merken: Die Demos bringen nichts. Denn die Sparpolitik wird ja im Grunde gar nicht von der Athener Regierung gemacht oder von den Abgeordneten des Parlaments, vor dessen Gebäude sich gestern die Demonstranten versammelten. Über Griechenlands Schicksal wird nicht an der Akropolis entschieden, sondern in Berlin, Paris und Brüssel.

Jenen, die dennoch glauben, Ministerpräsident Giorgos Papandreou mit Streiks zu einem Kurswechsel zwingen zu können, wie die Staatsbediensteten, die gestern Ämter und Behörden, Schulen und Krankenhäuser, Fährschiffe und Flughäfen lahmlegten, ernten damit in der Bevölkerung nicht viel Sympathie. Die Mehrheit der Griechen, so zeigen Umfragen, hält Beamtenprivilegien wie Unkündbarkeit und luxuriöse Pensionsregelungen bei Staatsdienern für ungerechtfertigt.

Erst wenige Tage vor dem Streik äußerten in einer Meinungsumfrage sechs von zehn Befragten die Ansicht, die Gewerkschaften sollten jetzt auf Ausstände verzichten und den sozialen Frieden wahren, um die Probleme des Landes zu lösen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum zwei von drei Griechen eine Staatspleite erwarten.

Die meisten Menschen in Griechenland sind müde. Sie sind zermürbt von einer Krise, die kein Ende zu nehmen scheint. Sie fühlen sich und ihr Land erniedrigt – ein Land, das um immer neue Hilfsgelder betteln muss und dennoch immer tiefer in den Schuldenstrudel gezogen wird. Viele Familien kommen wegen der Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen an die Grenzen ihrer finanziellen Kräfte. Monat für Monat gehen etwa 20 000 Arbeitsplätze verloren. Unter den 15- bis 24-Jährigen sind mehr als 40 Prozent ohne Arbeit. 2012 wird die Wirtschaft wohl weiter schrumpfen. Das Land blutet aus. Die Menschen fühlen sich wie in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt – und wenn, dann ein böses: zwei von drei Griechen erwarten, dass die Krise zu einer Staatspleite führen wird.

Diese Angst ist keineswegs unbegründet. Die Gelder in der Staatskasse reichen nur noch bis Mitte November. Dass angesichts dieser dramatischen Notlage die politischen Parteien weiter streiten, statt sich zusammenzuraufen, das ist die eigentliche griechische Tragödie. Eine existenzbedrohende Krise wie diese schreit nach einem politischen Konsens, nach einer gemeinsamen Anstrengung zumindest der beiden großen Parteien, die sich seit Jahrzehnten an der Macht abwechseln und das Land immer tiefer ins Schuldendesaster geführt haben.

Premier Papandreou hat zwar seine Bereitschaft zu einer großen Koalition signalisiert und sogar den Verzicht auf das Amt des Regierungschefs angeboten. Aber die konservative Opposition weigert sich beharrlich, Mitverantwortung zu übernehmen. Griechenland droht nicht nur die Staatspleite, sondern auch der Bankrott des politischen Systems.

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