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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Ein Zwischenruf: Sie bleiben Türken

Wie sollen die Türkischstämmigen sich mit Herz und Verstand zu Deutschland zugehörig fühlen, wenn sie immer wieder abgesondert werden?

Erdogan in Köln – das war auch eine Lehrstunde in Sachen Türkeistämmige verstehen. Das gehört heute zur Allgemeinbildung. Schließlich sind sie mit ca. drei Millionen Menschen die größte eingewanderte Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Die Hälfte hat bereits die deutsche Staatsbürgerschaft. Was sie trotz aller sprachlichen und religiösen Verschiedenheit eint, ist eine tiefsitzende Identifizierung mit politischen Entwicklungen in der Türkei, die sie noch immer mächtig aufregen, als würden sie dort leben. Dabei müsste es eigentlich andersrum sein. Was in Deutschland passiert, bestimmt ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder. Und dennoch, fast fünfzigtausend Menschen opferten Zeit, um ein öffentliches Zeichen zu setzen für oder gegen die Situation in der Türkei. Bei welchen Demonstrationen umstrittener deutscher Themen, beispielsweise Hartz IV, Gesundheitspolitik, waren je so viele türkeistämmige Demonstranten zu sehen?

Gewiss, es gab diesmal Protestverstärker: das grauenhafte Minenunglück in Soma und Erdogans Reaktionen darauf und auf die Demos im Gezi-Park. Ausschlaggebend war das nicht, aber es bot den Gegendemonstranten einen zusätzlichen Grund an, massenhaft auf die Straße zu gehen und sich auch lautstark mit den Erdogan-Befürwortern, also ihren Landsleuten, anzulegen. Aber woran liegt es, wenn Menschen mit türkischen Wurzeln zum Repräsentanten des türkischen Staates pilgern, ihm zujubeln oder ihn verdammen, obwohl sie schon Jahrzehnte in Deutschland strukturell verankert sind, ins Bildungssystem, in den Arbeitsmarkt, in den Sozialraum? Was fehlt ihnen hier, um ihre politischen Leidenschaften auf die Lebenswirklichkeit zu konzentrieren?

Wer sie fragt, erfährt es: Was immer wir tun, ob wir erfolgreich sind oder versagen, ob wir Deutsche werden oder nicht, wir bleiben „die Türken“. Versagen wir, dann heißt es, weil wir Türken sind, steigen wir auf, dann heißt es, obwohl wir Türken sind. Wie sollen wir uns mit Herz und Verstand zu Deutschland zugehörig fühlen, wenn wir immer wieder abgesondert werden, nicht als Einzelne, sondern nur als Gruppenmitglieder wahrgenommen werden? Zugehörigkeit sieht anders aus.

Das lässt sich doch ändern?

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