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Ein Zwischenruf zur …: … Einheit

Wir Deutschen haben für die Einheit einen eigenen Feiertag; wir beginnen unsere Nationalhymne mit dem Wort „Einigkeit“ und selbst in der früheren DDR durfte noch in den sechziger Jahren gesungen werden „Deutschland einig Vaterland“. Alles nur Träumerei, frommer Wunsch, Beschwörung eines Zustands, den wir gerne hätten, während uns die Uneinigkeit über die großen und kleinen Dinge in gegnerische Lager spaltet?

Wir Deutschen haben für die Einheit einen eigenen Feiertag; wir beginnen unsere Nationalhymne mit dem Wort „Einigkeit“ und selbst in der früheren DDR durfte noch in den sechziger Jahren gesungen werden „Deutschland einig Vaterland“. Alles nur Träumerei, frommer Wunsch, Beschwörung eines Zustands, den wir gerne hätten, während uns die Uneinigkeit über die großen und kleinen Dinge in gegnerische Lager spaltet? Zanken wir uns nicht permanent zum Beispiel über mehr Gleichheit oder Freiheit, über mehr Einwanderer oder weniger, über Arbeitslose, die finanziell knapp zu halten sind oder besser doch eine große Kelle Steuergeld aus den öffentlichen Töpfen zugeteilt bekommen sollen? Dazu kommen dann noch Winzigkeiten wie der über den Gartenzaun wuchernde Ast oder der kläffende Pinscher oder die spielenden Kinder, die uns Deutsche veranlassen, jährlich fast eine halbe Million Mal die Zivilgerichte anzurufen. Wäre es bei solch ausgeprägter Lust an der Zwietracht im Volkscharakter nicht treffender, den Adler im Bundeswappen durch einen Streithammel zu ersetzen?

Diese Deutung drängt sich auf und doch stimmt sie nur auf den ersten Blick. Denn damit lässt sich nicht erklären, warum es heute ein so grundlegendes Einverständnis gibt über die soziale Marktwirtschaft, die Respektierung der Oder-Neiße-Grenze oder die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen. Lauter Knackpunkte, an denen sich jahrzehntelang die Geister schieden. Aus der Kontroverse in den Konsens haben es auch die kundenfreundlichen Ladenöffnungszeiten, das Flaschenpfand und die Ganztagsschulen geschafft, alle anfänglich aggressiv bekämpft, heute geliebt. Zu erklären ist das nur mit einem tiefen Bedürfnis, uns doch einig zu werden, gerade wenn wir uns nicht gleich einig sind. Ja, das sieht aus wie ein Leitstern, der uns die Richtung vorgibt: Wir sind uns einig, einig zu werden. Da steckt vielleicht noch ein Hauch geschichtliches Erbe drin (von den Kleinstaaten zum Nationalstaat), aber heute in unserer demokratischen, kulturell bunten Gesellschaft entwickelt dieser Wesenszug eigenen Charme: Wir streiten – wie anders sollte auch Einigkeit so vieler wachsen – aber wir stehen uns dennoch nicht verbiestert gegenüber. Kommt Zeit, kommt Einigkeit. So wirken wir als Gesellschaft unaufgeregt, geradezu entspannt auf Ausländer aus Ländern mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Es gibt auch Schattenseiten, aber die lassen wir am Tag der Einheit mal außen vor.

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