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Meinung: Einarmiger Weltraumbandit

Europa möchte aus dem Schatten der amerikanischen Raumfahrt heraustreten – und pokert hoch

Der Mars ist nah. So nah wie schon lange nicht. Nur 56 Millionen Kilometer trennen uns gegenwärtig vom Roten Planeten. Die ersten 1000 gelten als die schwierigsten. 1996, als die Europäer schon einmal versuchten, den Mars zu erreichen, zündete die vierte Stufe der russischen Transportrakete nicht: Die Raumsonde stürzte kurz nach dem Start in den Pazifik.

Viele der damals beteiligten Forscher werden den Start am heutigen Abend mit ähnlichem Nervenkitzel verfolgen wie vor sieben Jahren. Ihre Instrumente sind nun wieder mit von der Partie. Zum Beispiel eine Kamera, die dreidimensionale Bilder zur Erde schicken soll: Farbige Aufnahmen ausgetrockneter Flussläufe und Meere, Ansichten des Olympus Mons, des mit 25 Kilometern höchsten Vulkans im Sonnensystem.

Die europäische Weltraumorganisation Esa hat für vergleichsweise wenig Geld eine beachtliche Mission auf die Beine gestellt. Doch sie pokert hoch. Denn sie will sich nicht damit begnügen, den Planeten und seine Vergangenheit aus einigen 100 Kilometern Abstand zu erforschen. Was wissenschaftlich viel versprechend ist, ist ihr nicht spektakulär genug.

Die Europäer möchten endlich aus dem Schatten der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa heraustreten. Die aber schickt in den kommenden Tagen zwei gut ausgerüstete Roboter zum Mars. Die beiden Feldgeologen sollen mit Mikroskop und Gesteinsschmelze herumfahren und in die Gesteine und Klimageschichte unseres Nachbarplaneten hineinschauen. Die Weltöffentlichkeit wird diese Erkundungsfahrten – ähnlich wie bei der amerikanischen Mars-Mission 1997 – auf den Fernsehbildschirmen verfolgen können. Raumfahrt ist für die Amerikaner immer auch Show-Business: eine öffentliche Demonstration des technischen Könnens.

Die Europäer können da nicht mithalten – und sie versuchen es doch. Sie haben nun ebenfalls einen kleinen Automaten im Gepäck. Da ihnen dafür eigentlich das Geld fehlt, haben sie einen einarmigen Banditen angeheuert, einen Draufgänger.

Wie waghalsig allein das geplante Landemanöver ist, hat die Esa bei den Tests erfahren müssen. Der Fallschirm war zu schwach, den Sturzflug abzubremsen, die Airbags, die den Aufprall des Landegeräts abfangen sollten, zerplatzten wie Luftballons. Für Bremsraketen, mit denen die Nasa den Anflug auf das halbe Tempo drosselt, reichten die finanziellen Mittel nicht. Es gibt auch keine doppelten Sicherungen für die Instrumente an Bord der Landekapsel „Beagle“.

Und wenn die Landung glückt? Dann liegt „Beagle“, der aussieht wie eine Taschenuhr, im marsianischen Staub. Er hat keine Räder, um die Gegend zu erkunden. Wo er hinfällt, bleibt er liegen. Ein Greifarm muss genügen.

Der aber könne viel, sagt die Esa. Sie will damit Überreste früherer Mikrolebewesen zu fassen kriegen – was schon die beiden amerikanischen „Viking“-Sonden in den 70er Jahren versuchten. Sie langten mit ihren Baggerschaufeln ein ums andere Mal in den Staub. Der Mars zeigte ihnen ein lebloses Wüstengesicht.

Heute startet die europäische Marsexpedition mit einer sonderbaren Mischung aus solider Planetenforschung und gewagtem Spiel. Einem Spiel, das Nasa-Wissenschaftler eher belächeln. Aber sei’s drum: Eine einzige Marsmikrobe würde genügen und die Sensation wäre perfekt.

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