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Meinung: Eine PDS für den Irak

Es fehlt ein politisches Sammelbecken für die ehemaligen Nutznießer des Saddam-Regimes

George W. Bush sitzt an seinem Schreibtisch. Er sieht böse aus. Ihm gegenüber steht ein Offizier. Der sieht verlegen aus. „Gibt’s denn keine guten Nachrichten aus dem Irak?“ brüllt der Präsident. Der Offizier grübelt. Dann antwortet er: „Wir haben Saddam Hussein verhaftet. Aber das war vor mehr als einem Jahr.“

Die Karikatur belegt die Malaise. Seit dem Ende des Krieges reiht sich, in der Propaganda der US-Regierung, ein Erfolg an den anderen: Erst wurden die Söhne Saddams erwischt, dann der Despot selbst, die Souveränität wurde übergeben, eine Interimsregierung ernannt, eine neue Armee aufgebaut, der Radikalschiit Muktada al Sadr besiegt und die Rebellen aus Falludscha vertrieben. Alles trug angeblich zur Stabilisierung bei, doch währenddessen nahmen die Anschläge zu. Die Rebellen sind mittlerweile 40 000 Mann stark, meldet der britische „Economist“, dazu kommen 160 000 Teilzeitkräfte, Helfer und Sympathisanten.

Die Erfahrung mahnt zur Vorsicht. Am 30. Januar wird im Irak gewählt – und wieder knüpfen Weißes Haus und Pentagon optimistische Erwartungen an ein Datum. Doch die Warnungen häufen sich. Brent Scowcroft, der ehemalige Sicherheitsberater von Bush Senior, sagt: „Die irakischen Wahlen haben das große Potenzial, den Konflikt zu vertiefen.“ Er und andere Sicherheitsexperten sind pessimistisch geworden. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schickt gar einen pensionierten Viersterne-General in die Region. Der soll den gesamten militärischen Kurs überprüfen. Stimmt die Moral, die Strategie, die Truppenstärke?

Der 30. Januar ist ein Sonntag. Zehn Tage vorher findet, mit viel Tamtam, Bushs Inauguration statt. Wenige Tage später muss er vor beiden Häusern des Kongresses seine Rede an die Nation halten. Bush wollte sich in seiner zweiten Amtszeit der Innenpolitik zuwenden. Doch die Lage im Irak verdrängt alle sonstigen Themen. Fast die Hälfte der US-Soldaten sind Reservisten. Deren Einsatzdauer wird wegen der Personalknappheit ein ums andere Mal verlängert. Ihr Unmut nimmt zu: Rund 900 amerikanische Kinder haben im Irakkrieg ein Elternteil verloren. Mehr als 40 Väter starben, ohne zuvor ihre neugeborenen Babys gesehen zu haben.

Und im Irak geht die Angst um. Die internationalen Wahlbeobachter werden die Wahlen sicherheitshalber von Jordanien aus begutachten. In den von Sunniten bewohnten Regionen riskiert jeder sein Leben, der die Aufrufe zum Boykott missachtet. Die ethnische Spaltung des Landes – Schiiten und Kurden hier, Sunniten dort – vertieft sich.

Was fehlt, ist ein Sammelbecken, in dem sich die Verlierer der Wende politisch formieren können. Was die PDS für die SED war, könnte eine Neo-Baath-Partei für die ehemaligen Nutznießer der Saddam-Diktatur sein. Die Amerikaner sollten also die alte Führungsschicht kontaktieren. Doch Moral muss man sich leisten können. Dazu ist die Lage zu bedrohlich. Die PDS, das muss man nachträglich anerkennen, hat viele Ostdeutsche das Wählen gelehrt. Nachrevolutionäre Zeiten benötigen offenbar solche Nostalgievereine, das trägt zur Zivilisierung bei. Das sollte auch unter den irakischen Sunniten gefördert werden. Noch können die Rebellen ihre Anhänger aus einer diffusen Schar von Frustrierten rekrutieren. Zwischen diese muss ein Keil getrieben werden.

Es gibt ein Bild aus dem Irak, das Thomas Friedman, ein Kolumnist der „New York Times“, im Internet entdeckt hat: Mitten am Tag werden auf einer belebten Straße in Bagdad zwei Irakis ermordet, die bei der Organisation der Wahlen geholfen hatten. Das sei die wahre Schlacht, schreibt er. Sie findet zwischen jenen statt, die zum ersten Mal in ihrem Leben frei und geheim wählen wollen, und jenen, die den Einzug der Demokratie wie der Teufel das Weihwasser fürchten. In dieser Schlacht darf keiner neutral bleiben. Wer noch Verständnis für die Rebellen aufbringt, verrät sich selbst als Antidemokrat.

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