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Meinung: Einheit in der Vielfalt

Deutschland braucht endlich eine Akademie der Wissenschaften

Alexander S. Kekulé Es gibt noch Dinge, die fast alle haben – nur die Deutschen nicht. So existiert im Land der Dichter und Denker keine nationale Akademie der Wissenschaften. Die Forscher in Großbritannien debattieren bereits seit 1660 in der ehrwürdigen „Royal Society“. Die besten französischen Naturwissenschaftler werden seit 1666 in die „Académie des sciences“ berufen, die 1739 gegründete „Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften“ darf (seit 1901) sogar die Nobelpreise in Physik und Chemie vergeben. Doch ausgerechnet in Deutschland, der Wiege der anorganischen und der organischen Chemie, der Kernphysik und der Biochemie, gibt es keine nationale wissenschaftliche Akademie.

Kein Wunder, dass deutsche Forscher seit Jahrzehnten danach trachten, das zu ändern. Doch die sieben regionalen Akademien in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz und München standen sich stets gegenseitig im Wege. Nach der Wende war dann die „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina“ in Halle, als älteste und einzige überregionale Gelehrtengesellschaft, der heiße Kandidat für die gesamtdeutsche Aufgabe. Doch der damalige LeopoldinaPräsident Benno Parthier konnte sich im Machtkampf mit den einflussreichen Akademien, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mächtigen Gesellschaften wie Max-Planck, Helmholtz, Leibnitz und Fraunhofer nicht durchsetzen.

Da mutet die jüngste Nachricht wie ein kleines Wunder an: „Wir sind am Punkt der Einigung. Alle ziehen an einem Strang“, sagte der neue Leopoldina-Präsident Volker ter Meulen, eine Lösung für die Schaffung einer nationalen Akademie der Wissenschaften stehe unmittelbar bevor. Der versierte Wissenschaftsmanager arbeitet seit zwei Jahren daran, die Leopoldina zur gesamtdeutschen Akademie auszubauen. Sein Konzept will er jedoch erst verraten, wenn es von den Gremien der betroffenen Wissenschaftsorganisationen akzeptiert wurde. Neben der machtpolitischen Frage, wer künftig die deutsche Wissenschaft offiziell vertreten darf, gibt es ein gravierendes inhaltliches Problem: Eine Akademie nach klassischem Vorbild wäre heute vollkommen überholt und überflüssig. Als die großen Akademien im 17. und 18. Jahrhundert gegründet wurden, waren sie Geburtsstätten eines neuen, auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse gründenden Denkens. Sie waren der Ort des Meinungsaustausches, besaßen Bücher und durften selbst publizieren. Die Akademien vergaben Mittel für die Forschung, bewerteten deren Ergebnisse und hielten die Fachgebiete zusammen. Ihre Präsidenten, wie Newton oder Lavoisier, waren unumstrittene Leitfiguren ihrer Zeit.

Vergleichbare Autoritäten gibt es in der heutigen, in unzählige Teildisziplinen zersplitterten Wissenschaft schon lange nicht mehr. Forschungsmittel kommen vom Staat und der Industrie, Informationen aus dem Internet. Die Ausbildung des Nachwuchses haben die Universitäten übernommen. Im Ausland vertreten die einzelnen Fachgesellschaften die deutsche Forschung besser, als dies ein künstlich geschaffener Generalintendant je könnte. Auch das viel gebrauchte Argument, eine nationale Akademie müsse als „Stimme der Forschung“ Politik und Öffentlichkeit möglichst widerspruchsfrei informieren, ist illusorisch: In der Wissenschaft gibt es so viele Meinungen wie Wissenschaftler – und das ist gut so. Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit dürfen keine Monopole von Funktionären sein.

Wenn Deutschland sich heute eine nationale Akademie zulegt, muss diese in jeder Hinsicht anders als ihre Vorbilder sein. Wichtigste Aufgabe wäre es, die zersplitterte Forschungslandschaft zu ordnen und große Gemeinschaftsziele zu definieren, mit denen Deutschland etwa bei EU-Ausschreibungen besser abschneidet als derzeit. Auch die Festlegung allgemeiner Standards, etwa zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungen, tut Not. Das setzt eine schlanke, flexible Organisation voraus – mit der kann jedoch keine der acht Akademien dienen. Mit ihren zusammen rund 2400 Mitgliedern sind diese Gelehrtengesellschaften zu groß, zu unflexibel, überaltert und wissenschaftlich von zu viel Mittelmaß durchsetzt.

Hoffentlich hat der kluge Manager ter Meulen also einen Plan für eine komplette Neugründung in der Tasche. Von den bestehenden Akademien müssten die besten Köpfe handverlesen übernommen werden – und vielleicht ein Traditionsname, das reicht.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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