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Die Hände in der Tasche - wo ist Merkels Souveränität geblieben.

© dpa

Einige Patzer zu viel: Angela Merkel lässt die ruhige Hand vermissen

Ist es mangelnde Konzentration oder gar Verschleiß durch das politische Geschäft? Die Souveränität der Bundeskanzlerin ist dahin - ihre Reaktion auf bin Ladens Tod ist nur das jüngste Beispiel dafür. Ein Kommentar.

Seit Beginn ihrer politischen Tätigkeit habe ich Angela Merkel für regelrecht cool gehalten, wenn darunter verstanden sein soll: für sehr bewusst und kontrolliert, wenn auch für einigermaßen unterkühlt. Auch ihr Gespür für das Timing, für den richtigen Augenblick eines Vorstoßes, war einigermaßen perfekt – ob es nun um jenen offenen Brief ging, in dem sie ihre Partei darauf vorbereitete, ein Leben ohne Helmut Kohl zu führen, oder um den Griff nach dem Fraktionsvorsitz, zusätzlich zum Parteivorsitz. Um den Altmeister Machiavelli zu zitieren: Es stimmte fast alles überein; virtu, occasione, fortuna – der kräftige Zugriff, die günstige Gelegenheit, das wechselhafte Glück.

Doch seit einigen Monaten fallen einem allzu häufig Patzer auf, die auf mangelnde Konzentration, ja auf Verschleiß im politischen Geschäft schließen lassen. Mal stimmen die Kategorien nicht, mal kommt es zu unverständlichen Entscheidungen, die den kühlen Kopf vermissen lassen.

Auch wenn man nach schwierigen Abwägungen entschieden zu dem Ergebnis kommt, dass die Aktion gegen Osama bin Laden mit rechtlichen Gründen gut zu vertreten war und die Welt sicherer ist, seitdem der Chef der Al Qaida sie nicht mehr verunsichern kann, so muss es doch möglich sein, zwischen dem legitimen Ziel und den durch die Umstände aufgenötigten Methoden so zu unterscheiden, dass die bewusst in Kauf genommene Tötung selbst des bösesten Menschen als solche kein Anlass zur Freude sein kann. Von Freude kann in Situationen, in denen man sogar das Leben von Menschen aufs Spiel setzen muss, die einem anvertraut sind, sowieso nie die Rede sein.

Dieser jüngste Fehl-Begriff erinnert an Merkels Kommentar in der Affäre Guttenberg, wonach sie keinen wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen Minister angestellt habe. Natürlich bezog sich dieser Missgriff auf einen weitaus harmloseren Vorfall, aber das fatale Missverhältnis zwischen der moralischen Causa und den von ihr gewählten Begriffen war doch sehr ähnlich.

Zweimal danebengelangt – bei der Wortwahl und der gedanklichen Einordnung –, das wäre vielleicht noch zu verkraften. Aber wie eine Kanzlerin, die seinerzeit vor dem im Ansatz durchaus fragwürdigen Irakkrieg enger an den damaligen US-Präsidenten heranrückte, als es geboten war, sich bei der Entscheidung über die Libyen-Intervention in eine Lage bringen konnte, in der sie im UN-Sicherheitsrat nicht mit unseren engsten Verbündeten, sondern mit Russland und China abstimmte und damit unser Land, das ohne Not einen ständigen Sicherheitsratssitz anstrebt, zur Lächerlichkeit isoliert, dies begreife, wer wolle – und lege dies nicht allzu simpel dem Herrn Westerwelle zur Last.

Ähnlich fehlte es am kühlen Kopf, als die Kanzlerin die kurz zuvor im rechtlichen Crashkurs durchgesetzten längeren Laufzeiten für die hiesigen Kernkraftwerke in der Aufregung nach Fukushima panikartig kassierte, ganz ohne Gesetzesgrundlage, obwohl das japanische Schlamperei-Desaster nicht die geringsten Schlüsse auf die deutsche Lage zuließ.

In der parlamentarischen Demokratie muss man damit leben, dass die Regierung andere Pläne verfolgt als die Opposition – und dass mitunter sogar die Mehrheit der Wähler im Augenblick sachlich anders denkt (oder doch empfindet) als der Regierungschef. Aber die Bürger insgesamt müssen zu Recht erwarten können, dass der Regierungschef jederzeit Herr der Lage, der Begriffe und der Worte bleibt.

François Mitterrand hat einmal mit der Formel geworben „La force tranquille“ – Die Politik der ruhigen Hand. Die ruhige Hand und der kühle Kopf reichen für sich genommen nicht aus. Doch wenn sie abhanden kommen, zieht das Ende einer Amtszeit herauf.

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