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Meinung: Einmal Stasi, immer Stasi?

Zum Rechtsstaat gehört der Gedanke an Verjährung Von Richard Schröder

Seit 1991 steht im Stasiunterlagengesetz, dass die Überprüfungen auf Stasimitarbeit 15 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes beendet werden müssen. „Nach Ablauf dieser Frist darf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.“ Die Formulierung ist aus dem Bundeszentralregistergesetz nachgebildet worden.

Seit geraumer Zeit hat der Beirat der Behörde dieses Problem diskutiert und empfohlen, diese Bestimmung zu lockern und in zwei Fällen weiter Überprüfungen zuzulassen, nämlich bei hervorgehobenen Personen in öffentlichen Ämtern, „wenn tatsächlich Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen Tätigkeit vorliegen.“ Der Verdacht muss überprüft werden können, weil sonst ein wohlfeiles Instrument zur Instrumentalisierung solcher Vorwürfe geschaffen würde wie in anderen ehemals sozialistischen Ländern geschehen. Immer überprüft werden sollen diejenigen, die mit den Stasiakten selbst zu tun haben.

Ein entsprechender Gesetzesentwurf von CDU, SPD und Bündnis 90/Grünen ist derzeit in der parlamentarischen Bearbeitung, eine Anhörung hat stattgefunden. Nun erhebt sich eine Welle des Protestes, als sollte die Beendigung der Überprüfungen beschlossen werden, während doch ihre beschränkte Fortführung ermöglicht werden soll.

Nun heißt es, wieder einmal werden die Täter und nicht die Opfer begünstigt. Unsinn. Die inoffiziellen Mitarbeiter waren doch nicht die Haupttäter. Das waren die offiziellen Stasimitarbeiter, die sie zum Vertrauensbruch animierten, und die SED, die die Stasi installiert und dirigiert hat.

Die Stasiüberprüfungen sind deshalb eingeführt worden, weil man die Haupttäter namentlich kannte, die IMs aber nicht. Es sollte verhindert werden, dass sie unentdeckt in den neuen Strukturen Seilschaften bilden. Es handelte sich um Eignungsprüfungen, auch zum Schutz des Ansehens der Ämter.

Wer sich heute um eine Stelle bewirbt und bis 1989 inoffizieller Stasimitarbeiter war, ist heute mindestens 40 Jahre alt. Die Stasimitarbeit lag in seiner Jugend. Was seitdem aus ihm geworden ist, kann man erfragen. Die automatischen Stasiüberprüfungen sind nicht mehr zu einer Gefahrenabwehr nötig. Die entsprechenden Bereiche sind ja einmal vollständig durchgeprüft worden. „Einmal Stasi, immer Stasi“, das darf nicht gelten. 1990 haben wir in der Volkskammer gesagt: „Wir gehen anders mit euch um, als ihr mit uns umgegangen seid“, nämlich rechtsstaatlich. Zum Rechtsstaat gehört der Gedanke der Verjährung.

Aber die Opfer fühlen sich dadurch beleidigt! Die Erfindung des unabhängigen Richters vor einigen tausend Jahren beruhte auf der Einsicht, dass die Wiederherstellung der Gerechtigkeit bei den Opfern nicht in den besten Händen ist. Das führte nämlich zur Blutrache hin und her.

Befürchtet wird weiter, die neue Regelung würde die Aufarbeitung der Diktatur behindern. Begründet wird das mit jener Formulierung aus dem Bundeszentralregistergesetz, die aber schon immer im Gesetz stand. In der Tat wäre es verheerend, wenn nun strafbar wäre, auszusprechen, dass der und der Stasimitarbeiter war. Deshalb ist von Johannes Webering bei der Anhörung folgende Fassung vorgeschlagen worden: „Die Tatsache der Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst darf den Mitarbeitern außer in den vorgenannten Fällen in arbeits- oder dienstrechtlichen Rechtsverhältnissen nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.“ Damit soll sichergestellt werden, dass der Satz nicht presserechtlich gedeutet werden darf.

Der öffentliche Diskurs darf nicht eingeschränkt werden. Wer ein öffentliches Amt anstrebt, muss sich alle Fragen gefallen lassen. Wenn er seine Stasimitarbeit nicht ansprechen möchte, kann er ja auf solche Ämter verzichten.

Der Autor ist Theologe an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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