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Meinung: Einsam ist nicht stark

Die Bundesrepublik meldet sich in Europa als nicht ganz uneigennütziger Makler zurück

Den 23. November will sich die künftige Bundeskanzlerin von innenpolitischen Terminen weitgehend frei halten. Es ist der Tag nach ihrer Wahl, und sie wird ihn zumindest teilweise in Paris verbringen. Es entspricht einer guten Tradition, dass sich ein neu ins Amt gewählter deutscher Regierungschef mit den politischen Repräsentanten des wichtigsten Partners trifft. Eigentlich sollte am gleichen Tag auch noch Warschau auf dem Reiseprogramm stehen. Das aber scheiterte an protokollarischen Einwänden, nicht an grundsätzlichen Hemmnissen.

London, Brüssel, Washington und Moskau sind Plätze, an denen Angela Merkel ebenfalls möglichst schnell ihre Aufwartung machen will. Auch dies entspricht der Routine, und alle Beteiligten versuchen auch den Eindruck zu vermeiden, es habe sich irgendetwas an den Schwerpunkten und großen Linien der deutschen Außenpolitik geändert. Das 14-seitige Positionspapier im Rahmen des Koalitionsvertrags scheint diese Einschätzung zu bestätigen. Aber es liefert auch Indizien dafür, dass künftig nicht nur Akzente anders gesetzt werden sollen.

„Europäische Einigung und atlantische Partnerschaft sind keine Gegensätze, sondern die beiden wichtigsten Pfeiler unserer Außenpolitik“, heißt es da. Faktisch hatte jedoch die deutsche Positionierung im Irakkonflikt – nicht die gegen den Krieg, sondern die gegen die USA – zu einem Gegensatz zwischen Europa und der atlantischen Partnerschaft geführt. Die verschiedenen EU-Staaten waren gezwungen, so oder so Partei zu ergreifen: entweder für die USA und Großbritannien, oder für das Duo Deutschland/Frankreich. Die meisten, und vor allem die jungen EU-Mitglieder, entschieden nach realistischer Überprüfung des Einflusses dieser Mächte, sich auf die Seite Washingtons zu schlagen, freilich ohne damit zwingend dessen Position im Irakkrieg zu unterstützen.

Es sieht so aus, als würde die Regierung Merkel/Müntefering einen weiteren, aus dem ersten Fehler folgenden, Irrtum korrigieren, dem Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer erlegen waren. Die setzten ein Axiom der deutschen Außenpolitik seit Kriegsende außer Kraft, wonach sich Deutschland niemals in die Zwangslage bringen dürfe, zwischen den Partnern Frankreich und USA entscheiden zu müssen.

Der Koalitionsvertrag legt nahe, dass Schwarz-Rot auch eine andere Ursache der europapolitischen Handlungsunfähigkeit aus dem Weg räumen wolle. Weil nämlich die Regierung Schröder nicht einmal Anstrengungen machte, die Euro-Stabilitätskriterien einzuhalten, wurde Deutschland von den kleineren EU-Staaten nicht mehr als der ehrliche Makler angesehen, der es in der Ära Kohl gewesen war. Gerade die Berücksichtigung der Interessen der Kleinen hatte die deutsche Position in der Europäischen Union aber früher so stark gemacht. Kurz: Die Formel vom „deutschen Weg“ wird wohl aus der Außenpolitik endlich wieder verbannt.

Gerd Appenzeller

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