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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Ein Zwischenruf : Wir brauchen eine Eingliederungsinfrastruktur

Deutschland muss sehr schnell aus hilfebedürftigen Flüchtlingen Steuerzahler machen. Sonst geht eine gefährliche Saat auf. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Barbara John

Kaum ist die Toleranzwoche der ARD beendet, zeigt sich, dass Toleranz längst nicht ausreicht, um dunkle Wolken am Einwanderungshorizont zu vertreiben. Seit sechs Wochen demonstrieren in Dresden biedere Bürger, mit wachsendem Zulauf, unter dem Motto: „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“ („Pegida“). Ähnliches scheint sich, auf kleinerer Flamme, in Hamburg, Berlin und weiteren Städten zu formieren. Auslöser ist in der Regel der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge.

Nie gab es so gute Voraussetzungen wie jetzt

Was diese Demos zu diesem Zeitpunkt, unter diesem Slogan so brisant macht, ist das Aufeinandertreffen von drei dauerhaften Aufregerthemen: Islam, Einwanderung, Sozialleistungen. Wenn das so weitergeht, dann könnte die aktuell zutreffende Erzählung von den vielen bedrohten arabischstämmigen Flüchtlingen sich bald anders anhören. Zwingend ist das nicht. Doch um es zu verhindern, muss sich Deutschland bei der Rekordaufnahme von Menschen anders aufstellen. Noch dreht sich alles um die Unterbringung. Die allein scheint alle verfügbare Kraft an Personal und Finanzen aufzuzehren. Kommunen ächzen öffentlich unter dieser Last. Dabei liegt das Schwerste noch vor ihnen. Bei 95 Prozent liegt die Schutzquote der syrischen Flüchtlinge. Und wer Jahre oder gar für immer bleibt, braucht Ausbildung und Arbeit, um für sich sorgen zu können und das Land nicht zu belasten. Nie zuvor gab es dafür so gute Voraussetzungen wie jetzt. Die Wirtschaft boomt, Personal fehlt.

Doch was geschieht mit den vielen Jugendlichen, die bisher keine Schule aufnehmen will oder kann? Was wird aus den qualifizierten Männern und Frauen, die in den Unterkünften die Zeit totschlagen? Für Asylbewerber gab es noch nie Eingliederungsprogramme, für Schutzbedürftige nur wenige. Doch diesmal ist alles ganz anders. Wenn Deutschland jetzt nicht schnell eine gewaltige Eingliederungsinfrastruktur aufbaut, mit der Wirtschaft, damit aus hilfebedürftigen Flüchtlingen Steuerzahler werden, könnte die Propagandasaat der „Abendland-Fans“ aufgehen. Da helfen dann auch keine Gegendemos mehr.

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