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Meinung: Eltern raus aus der Schule

Roger Boyes, The Times

Als die Eltern von der HausotterGrundschule eine Reinickendorfer Kneipe zum Klassenzimmer machten, klang das wie eine gute Idee. Ich hatte schon immer die These vertreten, dass die Eckkneipe wieder zum Zentrum gesellschaftlichen Lebens werden sollte. Politiker sagen immer, sie würden auf den Stammtisch hören, sind dort aber selten anzutreffen. Lange vorbei die Zeiten, als Politiker nach ein paar Bier rüber zum Kanzleramt wankten, am Zaun rüttelten und riefen: „Ich will hier rein!“ Ich würde dafür plädieren, dass Pfarrer in die Kneipe kommen, statt sich in abgeschlossenen Kirchen zu verbarrikadieren, dass Hausärzte dort einmal in der Woche Sprechstunde abhalten, Chefredakteure vorbeischauen.

Aber die Verlegung des Klassenzimmers ins „Kastanienwäldchen“ hatte nichts mit Bürgernähe zu tun – sondern mit Verzweiflung. Die Schule hatte keinen Erdkundelehrer, keinen Mathe- oder Geschichtslehrer und die Vertretung war krank. Sogar die Vertretung der Vertretung war krank. Also übernahmen die Eltern die Kontrolle – und das scheint mir ein viel bedrohlicheres Omen zu sein als irgendwelche Pisa-Tabellen mit statistischem Kauderwelsch.

In Europa findet ein Machtkampf zwischen Eltern und Lehrern statt. Wir brauchen Pisa nicht, um zu wissen, dass Kindern mit reicheren Eltern besser abschneiden als die ärmerer Eltern. Oder dass Migrantenkinder über schlechtere Deutschkenntnisse verfügen, weil sie zu Hause kein Deutsch reden. Das ist klarer als klar. Es geht darum, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und eine optimale Balance zwischen Elternhaus und Schule herzustellen – eine Balance, die versucht, die Schwächen einzelner Kinder zu kompensieren. Die findet man nicht, indem man den schwarzen Peter unablässig hin und her schiebt. Eltern beschweren sich über faule Lehrer, Lehrer über widerspenstige Eltern. Die Kommunikation zwischen beiden Lagern ist in Deutschland in einem ausgesprochen schlechten Zustand. Die Morde am Erfurter Gymnasium – begangen von einem Schüler, der 2002 durch die Prüfungen geflogen war, ohne dass seine Eltern davon Kenntnis hatten – hätten ein Weckruf sein können. Stattdessen wird dieser Dialog in dem völlig ungeeigneten Rahmen eines Elternabends geführt. Die neuen Schulgesetze versuchen – als Reaktion auf Pisa –, den Eltern mehr Verantwortung zu geben. Ich halte das letztlich für falsch.

In Großbritannien hat dieser elterliche Einsatz inzwischen absurde Ausmaße angenommen. Mütter stehen unter Druck, als unbezahlte Hilfslehrer zu helfen. Eine Freundin von mir erhielt kürzlich die Aufforderung, „zusammen mit ihrem Kind zu lernen“. Nein Danke, war ihre Antwort, ich habe schon lesen gelernt und möchte es nicht ein zweites Mal tun. Die jüngste Initiative gegen das Schwänzen beinhaltet, dass nicht nur die Schüler Hausarrest bekommen, sondern mit ihnen auch die Eltern. Die Grenze zwischen Kinder-Erziehung und Eltern-Umerziehung verschwindet. Das ist kein Weg, den Deutschland beschreiten sollte. Lehrer sollen frei unterrichten können, Eltern sollen freigiebig emotionale Unterstützung liefern, ohne Algebra beibringen zu müssen. Die Hauptverantwortung für die Erziehung sollte bei den Schulen liegen.

Die Reichen in Großbritannien bevorzugen Internate, weil die die besten Ergebnisse erzielen. Warum? Weil die Rolle der Eltern dort auf eine absolutes Minimum reduziert wird. Natürlich können Schulen an den ungelösten sozialen Problemen Deutschlands nichts ändern. In ärmeren Familien, ob deutsch oder türkisch, werden die Kinder auch in Zukunft gedrängt werden, die Schule mit 16 zu verlassen und eigenes Geld zu verdienen. Auch der beste Lehrer wird nichts an der ökonomischen Logik Berlins ändern können, wo derzeit 530000 von Hartz IV leben. Aber wenn Deutschland sich verändern will, sollte es mit der Bildung beginnen. Die gesellschaftliche Bedeutung der Lehrer muss steigen. Die Zahl der Lehrer muss steigen, damit die Klassen kleiner werden. Und sie müssen anständig bezahlt werden.

Deutschlands Haushaltproblem wird längst als Ausrede für kurzsichtiges politisches Handeln benutzt. Wenn der Staat kein Geld für Lehrer hat, sollte er die Privatwirtschaft motivieren, sich zu engagieren. Firmen-Sponsoring könnte die Berliner Schullandschaft revolutionieren. Wie wäre es mit einer Leseinitiative für Migranten, bezahlt von der Telekom? Siemens-Mittel für Physiklehrer? Fußballfelder, von Adidas gesponsort? Ein Vodafone-Gymnasium? Mit der Abfindung eines einzelnen Mannesmann-Chefs könnte man einen neuen Kindergarten fünf Jahre finanzieren.

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