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Meinung: Ende mit Schrecken

Israel will aus dem Gazastreifen abziehen – deshalb eskaliert die Gewalt

Logisch scheint die neue Eskalation nicht. Nicht auf den ersten Blick. Und schon gar nicht für die Palästinenser, für die die jüngste Welle der Gewalt besonders verlustreich verläuft. Wenn Israel tatsächlich den Rückzug aus dem Gazastreifen plant, warum liefern dann die Palästinenser mit besonders gewagten Anschläge selbst einen Vorwand, diesen Abzug zu verzögern oder gar zu annullieren?

Man kann aber auch umgekehrt fragen: Warum riskiert die israelische Armee angesichts des immer heftigeren palästinensischen Widerstandes das Leben ihrer Soldaten bei Strafaktionen mitten in Bevölkerungszentren, wenn der Gazastreifen doch in Kürze ohnehin palästinensischer Autorität unterstellt wird?

Die vielen einzelnen Zwischenfälle summieren sich inzwischen zum Eindruck eines schleichenden Minikrieges. Jerusalem und Israels Landeszentrum befanden sich am Wochenende praktisch im Ausnahmezustand: Diverse extremistische Palästinensergruppierungen hatten für das jüdische Purimfest mit Mordanschlägen gedroht. In Flüchtlingslagern im Gazastreifen kam es zu heftigen Schießereien zwischen israelischer Armee und palästinensischen Kampfgruppen.

Die jüngsten palästinensischen Anschläge sind jedoch keine Taten Verzweifelter oder Verblendeter. Sie richten sich zwar auch gegen die israelische Truppenpräsenz am Rande des Gazastreifens – möglicherweise aber ebenso schon gegen die eigenen Sicherheitsorgane. Die diversen Tätergruppen führen in Wirklichkeit einen militärischen Kampf um politische Ziele: Sie streiten um die künftige Macht im Gazastreifen – nach dem Abzug der israelischen Soldaten.

Die Israelis wiederum versuchen, die Gruppen, die ihnen am gefährlichsten erscheinen (Hamas, Islamischer Dschihad) mit ihren Liquidierungs- und Vergeltungsaktionen möglichst zu schwächen.

Dabei darf freilich nicht übersehen werden: Selbst im nationalistischen Lager der Palästinenser häufen sich die immer brutaler werdenden Zusammenstöße – sowohl innerhalb der Fatah-Bewegung Jassir Arafats als auch zwischen ehemaligen Machtteilhabern und den heutigen offiziellen Organen. Auch dies sind Indizien für einen unerbittlichen Machtkampf.

Ein Ende ist nicht abzusehen. Doch der Mann, der die neue Welle der Gewalt unbeabsichtigt verstärkt hat, kann auch ihren Schlusspunkt setzen: Israels Regierungschef Ariel Scharon. Sein einseitiger Rückzugsplan ist zwar immer noch nicht im Detail festgeschrieben. Fest steht aber, dass er ein Machtvakuum im Gazastreifen herbeiführen wird, in welches die diversen palästinensischen Gruppierungen hineinstoßen wollen. Würde Scharon an Stelle des einseitigen Rückzugs eine ausgehandelte Regelung anstreben – und Jassir Arafat und sein Ministerpräsident Ahmed Kurei ihm dazu die Hand reichen –, dann wäre für alle Seiten klar, dass die Macht an die Palästinenserbehörde und deren Sicherheitsorgane überginge. Das könnte den innerpalästinensischen Machtkampf dämpfen.

Oder Scharon nennt zumindest endlich fixe Daten, wie es sein Vorgänger Ehud Barak beim Rückzug aus dem Südlibanon getan hatte. Je näher der Tag des Abzuges rückt, desto kürzer wurden die Kämpfe und desto kleiner die Zahl der Anschläge. Allerdings lehrte die Erfahrung auch: die kurzen Kämpfe und wenigen Anschläge waren umso blutiger. Es wird auf jeden Fall ein Ende mit Schrecken werden. Jetzt kann es nur noch darum gehen, dem Schrecken, der dem Abzug vorausgeht, ein schnelles Ende zu bereiten.

Wenn jedoch der israelische Rückzug frühestens nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen beginnt, wie dies Verteidigungsminister Schaul Mofaz ankündigte, oder gar erst in einem Jahr, wie inoffiziell verlautet, dann verwandeln sich alle diesbezüglichen Hoffnungen in Illusionen – es sei denn, die beiden Gegner beginnen endlich wieder zu verhandeln.

Charles A.Landsmann

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