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Meinung: Energie aus allen Rohren

Deutschland darf nicht von russischem Gas abhängig werden Von Jörg Himmelreich

Die Nachricht über Gerhard Schröders Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes des Gaspromkonsortiums für die Ostsee-Gaspipeline hat die Frage nach ethischen Verhaltensregeln für Politiker nach Ausscheiden aus ihren Ämtern aufgeworfen. Zu Recht! Dies ist aber nur die eine Frage, die andere, viel wichtigere lautet: Liegt diese Pipeline eigentlich in Deutschlands geopolitischem Interesse? Dass die Pipeline das Baltikum, die Ukraine und Polen bewusst umgeht, liegt in russischem Interesse, aber auch im deutschen? Vieles spricht dafür, dass diese Grundfrage nach den geopolitischen Interessen der Energiepolitik in der deutschen Außenpolitik nicht gestellt wird.

Das hat Gründe: In weiten Kreisen der Regierungspolitik und der politischen Wissenschaften haftet der Verfolgung von geopolitischen Interessen noch der Degout des moralisch Verwerflichen an. Deutschland und Europa sind Zivilmächte, deren Außenpolitik vom Export der Werte von Freiheit und Demokratie geleitet ist, aber doch nicht von realen Interessen – so die gerne vermittelte Botschaft langjähriger deutscher Außenpolitik. In manch verstaubtem Lehrstuhl der ewig gestrigen Russlandnostalgiker wird das „geopolitische Gequatsche“ den USA zugeordnet, und ist auch damit per se diskreditiert. Im Übrigen, so wird in Regierungskreisen gerne glauben gemacht, sei die Energieversorgung ein Bereich, in dem in Deutschland alleine private deutsche Unternehmen der Energiewirtschaft tätig sind. Weit gefehlt!

Die Energieversorgungssicherheit auch in Zukunft trotz des explodierenden Energiebedarfs Chinas und Indiens zu gewährleisten, ist eine staatliche Aufgabe, die vor zwei verschiedenen Problemen steht.

Einerseits liegen mehr als 70 Prozent der weltweiten Energieressourcen im Mittleren und Nahen Osten, in Russland und in Zentralasien – einer Krisenregion, die sich nicht durch innenpolitisch stabile, gar demokratische Verhältnisse auszeichnet. Eine Änderung dieser Verhältnisse in naher Zukunft erscheint wenig realistisch.

Andererseits bedienen sich im „Great Game“ um die globale Gas- und Ölversorgung Russland, China, Zentralasien, Iran, die Türkei und Aserbaidschan staatlicher Unternehmen. Sie sind gleichzeitig außenpolitische Instrumente ihrer Regierungen, um über die Steuerung der Energietransporte und -nachfrage außenpolitische Abhängigkeiten zu gestalten und Interessen zu verfolgen. Auf deutscher Seite bedarf es daher staatlicher Rahmenverträge, unter deren Schutz die deutschen Energieunternehmen die Lieferungsverträge ausfüllen. So auch im Fall der Ostseepipeline. Durch die staatlichen Rahmenabkommen gibt die Bundesregierung in Deutschland den Weg für die privaten Energieunternehmen vor, die ihm wegen des geringeren politischen Risikos gerne folgen. Insofern ist eben Energieversorgungspolitik keine reine wirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsunternehmen.

Nur durch eine Diversifizierung der Energielieferanten kann den zwei Problemen für die Sicherheit deutscher Energieversorgung außenpolitisch begegnet werden. Für Deutschland ist Russland schon heute mit 35 Prozent der wichtigste Lieferant, die Ostseepipeline erhöht diesen Abhängigkeitsgrad noch. Weitere europäische Energieunternehmen als Partner des Betreiberkonsortiums würden zur Diversifizierung ebenso beitragen wie weitere Abzweige nach Polen und in die Ukraine.

Um weiter wachsende Abhängigkeiten von Russland zu vermeiden und neue Transportwege zu neuen Energielieferanten zu eröffnen, ist zu raten, sich an den Überlegungen neuer direkter Pipelinerouten von Zentralasien, über das Kaspische Meer und den Südkaukasus nach Europa zu beteiligen. Nach der Eröffnung der neuen Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku am Kaspischen Meer zum türkischen Ceyhan am Mittelmeer, die durch eine fast parallel verlaufende Gaspipeline im nächsten Jahr ergänzt wird – deutsche Unternehmen sind mangels politischen deutschen Interesses an keinem der Projekte beteiligt –, beginnen erste Verhandlungen mit Turkmenistan und Kasachstan, deren Energieressourcen über eine Pipeline durchs Kaspische Meer auch westlichen Märkten zuzuführen. Daran sollte Deutschland sich beteiligen. Damit könnte eine wichtige Route eröffnet werden, die von Russland unabhängig ist. Das läge im geopolitischen Interesse Deutschlands – Überlegungen, die bei der Unterzeichnung der Rahmenverträge zur Ostseepipeline auf deutscher Seite offensichtlich keine Rolle gespielt haben.

Der Autor ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund in Berlin.

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