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Meinung: Entspannung: Warum die USA zögern

Selten kommt es vor, dass Europa in der Weltpolitik einmal die Nase vorne hat. Vergangene Woche war es so.

Selten kommt es vor, dass Europa in der Weltpolitik einmal die Nase vorne hat. Vergangene Woche war es so. Während Berlin und London schon die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu dem Regime in Nordkorea ankündigten, und damit die Friedenspolitik von Südkoreas Präsident Kim Dae Jung anschoben, traten Washingtons Außenpolitiker auf der Stelle. Bill Clinton begrüßte im Weißen Haus artig die Nummer zwei Nordkoreas, Vizemarschall Jo Myong Rok, zum Fototermin. Doch wie die USA auf die diplomatischen Avancen der Nordkoreaner reagieren sollen, darüber sind sich die Strategen in Washington uneins.

Diese Woche haben die USA nun die Initiative übernommen - allerdings nur in den Medien. Madeleine Albright reiste als erstes US-Regierungsmitglied in das stalinistische Nordkorea. Nach außen wollen die USA damit signalisieren, dass sie den Friedensprozess von Kim Dae Jung unterstützen. Eventuell noch Anfang November, heißt es aus der US-Delegation, könnte Clinton persönlich nach Pjöngjang reisen. Ein Friedensgipfel der ehemaligen Kriegsgegner?

Darüber ist man sich in Washington noch nicht einig. Bisher sind die Schritte der US-Regierung Richtung Nordkorea vor allem Taktik. Während man offiziell die Öffnung Nordkoreas begrüßt, kalkuliert man intern noch die strategischen Kosten einer Entspannung durch. Das nordkoreanische Militärregime, auch wenn deren Soldaten kaum genug zu essen haben, muss für Washington bislang als Bedrohung für die Supermacht USA herhalten. Mit dem Hinweis auf Pjöngjangs Raketenprogramm rechtfertigte das Pentagon die umstrittenen Pläne für den milliardenteuren Raketenabwehrschirm. Vor wem sollen sich die Amerikaner in Zukunft militärisch schützen, wenn Kim Jong Il über Frieden redet?

Südkorea ist die wichtigste militärische Basis der USA in Asien. Nach dem Koreakrieg (1950-53) hat Washington in Südkorea sein größtes Militärkontingent in der Region stationiert - derzeit rund 37 000 Soldaten, die zum Teil auch damit beschäftigt sind, die Entwicklung auf dem chinesischen Festland zu beobachten. Nicht Nordkorea, Peking gilt für Washington als mögliche Bedrohung. Durch den Friedensprozess der beiden Koreas ist Amerikas Militärpräsenz plötzlich infrage gestellt. In Seoul und Tokio häufen sich die Stimmen, die einen Abzug oder zumindest eine deutliche Reduzierung der US-Schutzmacht in Asien fordern.

Vor dem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Washington in seiner Nordkoreapolitik auf Pragmatik setzt. Ohne konkrete Zugeständnisse, wie Pjöngjangs Verzicht auf die Entwicklung neuer Raketen, will Albright das Wirtschaftsembargo gegen Nordkorea nicht lockern. Wenn Clinton dennoch laut über einen Blitzbesuch in Pjöngjang nachdenkt, ist das vor allem Wahlkampftaktik. Clinton noch mal als Friedensvermittler - das könnte auch Al Gore nutzen.

Für die Europäer ist Washingtons Zögern in Korea eine Chance. Ohne direkte strategische Interessen in Ostasien kann Brüssel den Friedensprozess diplomatisch vorantreiben. Zwar will Frankreich noch abwarten, ob und wieweit Nordkorea wirklich zu Zugeständnissen bereit ist. Grundsätzlich ist man sich in Brüssel jedoch einig, dass man Pjöngjang möglichst rasch an die Weltgemeinschaft heranführen muss. Italien nahm bereits im Januar diplomatische Beziehungen auf, Berlin und London werden folgen. Ziel ist es, zunächst die Wirtschaftskontakte mit dem kollabierenden Nordkorea auszubauen. Nur wenn der Westen auf das Regime zugeht, argumentiert Berlin, hat er eine Chance, Nordkorea zur Öffnung zu bewegen.

Ob die Bemühungen Erfolg haben werden? Die weitere Entwicklung hängt maßgeblich von Pjöngjang ab. Wenn Kim Jong Il tatsächlich Öffnung und militärische Entspannung will, wird Washington dem Vorbild der Europäer folgen müssen.

Harald Maass

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