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Meinung: Er hat ’ne knallenge Badehose

Roger Boyes, The Times

Auch im grauesten der Berliner Winter gibt es Dinge, die einen aufmuntern. Am nächsten Donnerstag zum Beispiel wird Klaus Wowereit ein Stück aus einer 1,3 Tonnen schweren Torte schneiden, die extra zum 100. Geburtstag des KaDeWe angefertigt wurde. Am schönsten wäre es natürlich, wenn er nackt aus der Torte springen würde, das würde meine Stimmung so richtig aufhellen. Leider wurde mir mitgeteilt, dass daran nicht gedacht ist.

Ein wenig später in diesem Jahr wird er den 100. Geburtstag des Hotel Adlon begehen. Vielleicht wird er als Hommage an Michael Jackson ein Kind vom Balkon baumeln lassen. Und dann gibt es noch den 100. Geburtstag vom Strandbad Wannsee. Ich stelle mir vor, wie der Regierende in einer knallengen Badehose aus dem Wasser steigt. Wie Daniel Craig.

Je länger ich Wowereit beim känguruartigen Hüpfen von einem Jubiläum in der Stadt zum nächsten beobachte, desto mehr denke ich: 1907 muss ein bemerkenswertes Jahr für Berlin gewesen sein. Laut und schnell war die Stadt, an vorderster Front der Moderne. Es gab natürlich schon das alte Wertheim an der Leipziger Straße, aber Adolf Jandorfs Idee für das KaDeWe – als Ort für moderne Träume, als Beweis, dass die Berliner anspruchsvolle Konsumenten sind, nicht nur Bauern mit Geld – war neu und schockierend. Gleichwohl konnten es sich die meisten Berliner nicht leisten, in dem Geschäft an der Tauentzienstraße einzukaufen.

Die „BZ“ berichtetete gerade über den 100. Geburtstag von Martha Ledwa, einer ehemaligen Arbeiterin in der Trumpf- Schokoladenfabrik. Darin wird betont, dass Pankow 1907 noch nicht Teil Groß-Berlins war; dass es noch kein elektrisches Licht gab; dass die Kanalisation dort gerade erst installiert worden war. KaDeWe war ein Ort für Frauen wie Frau Ledwa.

1907 war Berlin eine Metropole im Schnellgang. Damals wie heute gehörte der Bauzaun zur Physiognomie der Stadt. Damals wie heute verstopften Autos die Arterien der Stadt. Wahrscheinlich war Berlin damals sogar mobiler und dynamischer als heute. Im „Berliner Tageblatt“ von 1907 fand ich einen Artikel, geschrieben aus der Perspektive einer Witwe, die am Fenster sitzt. Sie beobachtet die Welt vor ihren Augen: die rosawangigen Dienstmädchen beim Ausklopfen der Teppiche, das Öffnen und Schließen der Geschäfte, die Frau, die eine Suchmeldung für ihren Dackel anheftet. Und: Innerhalb von nur einer Viertelstunde zählt sie 37 Autos, Busse und Straßenbahnen.

37? Es gibt nicht viele Orte im Berlin der Gegenwart, wo es so mobil zugeht. Ein Reporter im Café Josty am Potsdamer Platz zählte in einer Stunde: 416 Straßenbahnen, 146 Busse, 564 Autos, 538 andere Fahrzeuge, 54 Kutschen und 138 Dreiräder. Man muss sich nur die Abgase vorstellen, die man beim Überqueren des Platzes einatmete! Auch der rasante Erscheinungsrhythmus der Zeitungen stellt ihre Nachfolger in den Schatten. Die „BZ am Mittag“, die sich die „schnellste Zeitung der Welt“ nannte, sammelte die ersten Aktienkurse um 12 Uhr 10 an der Börse ein. Die wurden an die Redaktion und weiter an die Druckerei geschickt. Um 12 Uhr 18 Uhr liefen die ersten Zeitungen von der Presse, Fahrradfahrer transportierten sie dann an die Straßen. Das ist fast schneller als das Internet.

Es waren atemberaubende Zeitungen, unseren verwirrenden, beschleunigten Leben vergleichbar.

Und eines darf man nicht vergessen: Sieben Jahre nach Eröffnung des KaDeWe begann der furchtbarste Krieg der modernen Geschichte. Das Gefühl, dass jeder Fortschritt zu begrüßen ist, dass neue Technologien die Welt offener und reicher machen würden – dieselben Illusionen, die wir heute pflegen – erwiesen sich als hoffnungslos falsch.

Ich möchte nicht behaupten, dass in sieben Jahren ein Weltkrieg beginnt. Nicht mal ein Kulturpessimist wie ich kann sich vorstellen, dass in diesem Europa ein Krieg ausbrechen könnte. Russland ist ein Problem, der Balkan – aber ein Krieg? Nein.

Und doch rutschen wir allzu leicht in eine wenig liebenswerte Sprache. Der hässliche martialische „Krieg gegen den Terror“ und, sicher bald, der „Krieg gegen die Erderwärmung“. In sieben Jahren sitzen wir nicht in den Schützengräben. Aber wir werden weniger frei sein: Unsere Korrespondenz wird kontrolliert, wir werden an jeder Ecke gefilmt. Die Technik vermittelt uns die Illusion der größeren Wahlmöglichkeit, aber in Wirklichkeit wird der Staat in jede Ecke unserer Leben eindringen. Wie magisch das KaDeWe 1907 ausgesehen haben muss! Und wie traurig 1917. Wie amüsant Wowereit am Donnerstag aussehen wird! Aber werden wir auch 2014 noch lachen?

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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