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Meinung: Er hat sie, er hat sie nicht, er hat sie …

Iraks Chemiewaffen sind ein Risiko für Bush – besonders, wenn sie fehlen / Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Im irakischen Kriegsgetümmel sitzt eine Spezialtruppe der USArmee und wartet frustriert auf den Ernstfall: Die speziellste aller Spezialeinheiten, das „Chemical and Biological Intelligence Support Team“ an der kuwaitischirakischen Grenze, ist praktisch arbeitslos. Wenn das so bleibt, hat Präsident Bush ein Problem, auch wenn er den Krieg gewinnt: Die mit dem neuesten und teuersten Hightech-Equipment ausgestattete Sondereinheit soll biologische und chemische Massenvernichtungswaffen aufspüren und endlich die gesuchten Beweise beschaffen.

Bei dem Auftrag geht es um eine Frage der Ehre. Die bisherigen Versuche, die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak zu belegen, waren eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. An das Atomprogramm, ursprünglich der wichtigste Kriegsgrund, glauben inzwischen nicht einmal mehr die Geheimdienste der Kriegskoalition. Dass die von Bush und Powell als Corpora delicti angeführten Aluminiumrohre für die Urananreicherung gedacht waren, ist nach dem Urteil des Leiters der internationalen Atomenergiebehörde „höchst unwahrscheinlich“. Die Dokumente, wonach Saddams Emissäre im Niger Uran kaufen wollten, erwiesen sich als plumpe Fälschungen. In mehr als 700 nicht angekündigten Inspektionen konnten die UN-Fachleute keine der angeblich gesicherten Geheimdiensterkenntnisse über Fabriken für Biowaffen bestätigen. Sogar die Fotos und Dokumente, die Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat vorführte, stufte Chefinspekteur Blix als nicht aussagekräftig ein.

So versucht sich die Kriegspropaganda am nächsten Thema: Chemiewaffen. Am Montagmorgen hieß es, US-Truppen hätten in der Gegend von Nadschaf südlich von Bagdad eine Chemiewaffenfabrik gefunden. Später räumte Oberbefehlshaber Tommy Franks ein, dass es sich um eine zivile Chemieanlage handele. Dafür schockierte Außenminister Powell die Welt noch am gleichen Tag mit der Meldung, „Chemie-Ali“ – der für das Giftgas-Massaker an Kurden verantwortliche General Ali Hassan Al Madschid – plane im Süden des Irak einen Giftgasangriff auf die eigene Bevölkerung. Die Schuld daran wolle er dann den US-Truppen geben. Am Dienstag sorgte das Geheimdienst-Gerücht über eine angebliche „rote Linie“ um Bagdad für Aufregung; wenn die US-Armee die überschreite, werde Saddam Chemiewaffen einsetzen.

Selbst wenn es zu ihrem Einsatz käme, wären Chemiewaffen für die Koalitionsarmee keine ernste Gefahr. Die im Irak vermuteten Kampfstoffe Senfgas, Sarin und VX sind mit modernen Detektoren innerhalb weniger Sekunden nachweisbar. Gasmasken, deren Spezialfilter die Gifte absorbieren oder zersetzen, und dichte Schutzkleidung bieten beinahe hundertprozentige Sicherheit. Die meisten Kampffahrzeuge sind durch Überdruck im Innern gegen Gasangriffe geschützt. Davon abgesehen bezweifeln Militärexperten, dass der Irak über geeignete Mittel zur Verteilung der Kampfstoffe besitzt: Raketen, Hubschrauber und Flugzeuge könne die US-Armee leicht abschießen; die Kapazität von Granatwerfern sei so gering, dass sie durch Gegenfeuer ausgeschaltet werden können, bevor sie nennenswerte Giftmengen verbreiten. Deshalb ist schwer zu sagen, wovor Bush und Blair mehr Angst haben müssen: vor Chemiewaffen oder davor, dass sie möglicherweise keine finden.

Ein beunruhigendes Ergebnis wird der Krieg ziemlich sicher haben: Irakische Fachleute für Bio- und Chemiewaffen werden das Land verlassen. Dass sie andere „Schurkenstaaten“ oder Terrororganisationen unterstützen, wird nur durch umfassende Inspektionen zu verhindern sein.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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