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Premier Erdogan.

© AFP

Erdogans Berliner Bühne: Merkel darf es Erdogan nicht zu leicht machen

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan kommt nach Berlin. Doch der einst starke Mann vom Bosporus schwächelt. Die Kanzlerin sollte es ihrem Gast nicht zu leicht machen: Sie muss offen über die Sorgen sprechen, die mit der Türkei verbunden werden

Was war das für ein selbst-, ein machtbewusster Auftritt! Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan konnte die Schadenfreude bei seinem Berlin-Besuch 2012 kaum verbergen: Mit einer sensationell boomenden Wirtschaft im Rücken versprach er der krisengebeutelten EU, sein Land werde keine Belastung für Europa sein. Nein, vielmehr sei die Türkei sogar in der Lage, Last zu übernehmen. „Wir erstarken von Tag zu Tag“, prahlte Erdogan – und eröffnete demonstrativ in Berlin die weltgrößte türkische Botschaft. Und er warnte die Europäer, allen voran die dauerzögernden Deutschen, die Entscheidung über einen Beitritt seines Landes zu lange aufzuschieben. Sollte eine Mitgliedschaft nicht bis 2023, dem 100. Jubiläum der türkischen Staatsgründung, beschlossen sein, könne die EU die Türkei verlieren, drohte er.

Zwei Jahre später kommt Erdogan wieder nach Berlin, und das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht. Europa hat zwar die Euro-Krise noch nicht komplett hinter sich gelassen, aber die Zweifel an seiner Währung sind deutlich kleiner geworden. Die Mitgliedsstaaten arbeiten an ihrer Wettbewerbsfähigkeit und neuem Vertrauen – und die weltweiten Finanzmärkte suchen woanders nach geeigneten Spielbällen. Ob die Türkei sich als solcher eignet, wird sich zeigen.

Eine Ahnung davon, was das bedeutet, konnte der türkische Regierungschef in den vergangenen Wochen bekommen, als sich die Lira im freien Fall befand. Mit dem schwindenden Vertrauen der Investoren in ihre Wirtschaftskraft haben derzeit viele Schwellenländer zu kämpfen, aber bei der Türkei kommt der politische Vertrauensverlust hinzu. Nicht zuletzt schwelt seit Dezember eine Korruptionsaffäre, die selbst vor Erdogans engstem Umfeld nicht halt macht. Und die gegen Erdogans autoritären Führungsstil gerichteten Großdemonstrationen aus dem Sommer haben ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Der einst so starke Mann vom Bosporus schwächelt dramatisch. Die Schlagzeilen der vergangenen Monate waren katastrophal für Erdogan, dessen AKP-Regierung mit nicht weniger als dem Versprechen eines Wohlstands für alle angetreten war. Das Land ist tief verunsichert. Und die Aussichten eines EU-Beitritts sind, gelinde gesagt, nicht gestiegen.

Nun ist Schadenfreude nie ein guter Ratgeber, und in diesem Fall sind die Probleme ohnehin viel zu ernst: Vor allem der Syrienkrieg, dessen Ausmaße die Türkei mit ihrer 900 Kilometer langen Grenze so viel mehr spürt als Deutschland, fordert die allergrößten Anstrengungen – und Solidarität. Genau darum wird es Erdogan gehen, wenn er sich mit der Bundeskanzlerin zum Gespräch trifft. Dass Deutschland hilft, auch finanziell. Aber Angela Merkel wird und sollte es ihrem Gast auch nicht leicht machen, gerade weil der EU-Beitritt weiter auf dem Tisch liegt: Sie wird die rechtsstaatlichen Probleme ansprechen, wird ihrer Besorgnis darüber Ausdruck verleihen, in welche Richtung sich das Land bewegt.

Erdogan macht bei den Berlinern mit türkischen Wurzeln Wahlkampf

Mit welchen Mitteln will Erdogan die wirtschaftlichen Probleme lösen, wie geht er mit der Korruptionsaffäre um, hält er die demokratischen Spielregeln ein? Eine Frage wird vielleicht auch sein, wie entschieden die Türkei gegen Al-Qaida-Kämpfer vorgeht, die im syrischen Bürgerkrieg mitmischen. Erdogan muss sich das alles ruhig anhören und versuchen, sich und sein Land zu erklären. Mit Verschwörungstheorien über böse ausländische Mächte, wie er es gerade in Brüssel versuchte, wird ihm das allerdings kaum gelingen. Dafür ist Merkel die Falsche.

Interessant zu beobachten wird auch sein, wie Erdogan bei den Berlinern mit türkischen Wurzeln Stimmung für sich machen will. Ende März sind Kommunalwahlen, im Sommer wird der neue Staatspräsident erstmals direkt gewählt – ein Amt, an dem Erdogan großes Interesse haben soll, kann er doch für die AKP als Ministerpräsident nicht noch einmal antreten. Da seit 2012 Auslandstürken an ihrem jeweiligen Wohnort wählen dürfen, ist Berlin für ihn eine wichtige Bühne. Dass Erdogan im Kreuzberger Tempodrom vor seinen tausenden Zuhörern die türkisch-nationale Karte spielt, wie er es vor vier Jahren in Köln getan hat, als er Assimilation als Verbrechen bezeichnete, ist unwahrscheinlich. Immerhin hat er diesen Kurs schon zwei Jahre später geändert und die türkischstämmige Minderheit in Deutschland aufgefordert, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Aber sicher ist: Eine kraftvolle Botschaft an seine Anhänger wird er haben. Für sanfte Auftritte ist Erdogan eher nicht bekannt.

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