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Meinung: Erfolgreich gescheitert

Von Gerd Nowakowski Stundenlange Straßenschlachten, zahllose verletzte Polizisten, Randalierer und Passanten: Der 1. Mai in Kreuzberg ist erneut in eine Orgie der Gewalt ausgeartet.

Von Gerd Nowakowski

Stundenlange Straßenschlachten, zahllose verletzte Polizisten, Randalierer und Passanten: Der 1. Mai in Kreuzberg ist erneut in eine Orgie der Gewalt ausgeartet.“ Das schrieb der Tagesspiegel – allerdings vor einem Jahr. Damals hieß der Innensenator Eckart Werthebach und gehörte der CDU an. Mehr als 9000 Beamte waren im Einsatz; die Demonstrationen hatte der Senator gleich ganz verboten. Dieses Jahr nun von Rot-Rot das Kontrastprogramm mit dem n Deeskalation. Das Ergebnis: siehe oben. Die Taktik der Polizei konnte die Randale nicht verhindern. Für die Kreuzberger kaum ein Trost, dass die Schäden geringer sind als 2001.

Nach der Nacht der klirrenden Scheiben folgt das politische Scherbengericht. Die erinnerungsschwache CDU-Opposition macht dem SPD/PDS-Senat schwere Vorwürfe. Den Polizeieinsatz als Erfolg zu werten, wie es der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) tut, ist aber ebenso unlauter. Dazu ist die Bilanz der sinnlosen Wut zu erschreckend. Dennoch ist das defensive Verhalten der Polizei ein Anfang. Denn auch für die klügste Polizeistrategie gilt: Straftaten von gewaltbereiten Chaoten lassen sich nicht grundsätzlich verhindern. Aber ohne Deeskalation wäre es noch schlimmer gekommen.

Aus den eingefahrenen Wegen auszubrechen, um die Ritual-Randale zu durchbrechen, ist ein Wagnis. Die Polizei hat mit ihrer Zurückhaltung vor allem erreicht, dass die Stimmung bei den Demonstranten nicht aufgeheizt wurde. Anders als in der Vergangenheit gab es für Demo-Teilnehmer keinerlei Rechtfertigung, eigene Gewalt mit angeblichen Übergriffen der Polizei zu begründen. Aber die Deeskalation hat ihren Preis. Wer Aufzüge nicht dicht begleitet, sondern die Einsatzkräfte diskret im Hintergrund bereit hält, riskiert im Ernstfall eine Präsenzlücke. Diese Zeit reicht den Gewalttätern allemal, um Autos anzuzünden oder einen Supermarkt aufzubrechen – besonders, wenn dies fernab der Demonstrationsrouten passiert.

Die Polizei kann das Gewaltproblem nicht lösen, das ist Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Alles bleibt friedlich, wenn die Polizei nicht provozierend auftritt? Diejenigen, die nichts anderes als Krawall wollen, lachen sich darüber kaputt. Auch die Hoffnung, dass besonnene Demonstranten Gewalttaten verhindern, ging nicht auf. In der Walpurgisnacht sprang immerhin am Kreuzberger Oranienplatz der Funke nicht über, als zwei Dutzend Punks den Supermarkt stürmten. Ist das die gute Nachricht? Die schlechte Nachricht ist, dass mehrere tausend Menschen teilnahmslos der Plünderung zuschauten. Erst wenn diese Menschen eingreifen, und die Arbeit nicht der Polizei überlassen, kann der 1. Mai eine neue Tradition bekommen.

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