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"Mit dem Essen spielt man nicht", sagte die Kriegsgeneration. Nur - warum eigentlich nicht? Ist doch scheinbar von allem zuviel da.

© dapd

Ernährung: Mittel zum Leben

Lebensmittel gibt es in Hülle und Fülle - die Grüne Woche zeigt anschaulich das üppige Angebot. Den Wert des Essens müssen wir allerdings neu schätzen lernen.

Mit Essen spielt man nicht. Diese Ermahnung kennen viele Erwachsene aus ihrer Kindheit. Für deren Eltern – die an Hunger gewöhnte Kriegs- und Nachkriegsgeneration – hatten Lebensmittel einen ganz besonderen Wert.

Heute ist das anders.

Lebensmittel gibt es bei uns in Hülle und Fülle. Die Preise sind niedrig, das Angebot groß. Auch auf der Grünen Woche, die an diesem Freitag beginnt, warten Wurst-, Käse- und Fischverkäufer auf die Massen. Viele der Messebesucher ziehen mit vollen Mägen und prallen Tüten von dannen.

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, hat Bertolt Brecht geschrieben. Das trifft auch auf Lebensmittel zu. Wenn Dioxin im Essen gefunden wird, ist die Empörung groß. Gammelfleisch löst kollektiven Ekel aus. Niemand will 30.000 Küken sehen, zusammengepfercht in Großställen, die es nur mit massivem Antibiotikaeinsatz bis zur Schlachtreife schaffen.

Der Reflex ist stets derselbe: Millionen von Verbrauchern geloben, ihr Fleisch künftig nur noch vom Biohändler zu kaufen oder – besser noch – ganz auf tote Tiere zu verzichten. Um dann, vier, fünf Wochen später, doch wieder bei den billigen Hühnerkeulen für 2,90 Euro das Kilo zuzugreifen.

Doch glücklich sind sie damit nicht. Umfragen zeigen, dass die Furcht vor krank machenden Lebensmitteln zu den größten Ängsten der Deutschen gehört. Dahinter steckt mehr: das Unbehagen, dass unsere Nahrungsmittelproduktion aus dem Ruder gelaufen ist, und das Wissen, dass Billigessen seinen Preis hat. Etwa das Tierwohl. Die Massentierhaltung, der Einsatz von Medikamenten, Tiertransporte hin zu den billigsten Schlachthöfen sind Auswüchse einer Ernährungsindustrie, bei der jeder Cent zählt. Was billig ist, hat keinen Wert. Das Leben des einzelnen Tiers nicht, aber auch das Lebensmittel selbst nicht. Jedes Jahr landen allein in Deutschland 20 Millionen Tonnen Nahrungsmittel im Müll – weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder man einfach zu viel gekauft hat.

Viele Bauern haben daraus ihre Schlüsse gezogen. Immer mehr von dem Weizen, Raps oder Mais, den sie säen, wird zu Sprit, Heizenergie oder Strom. Weil die erneuerbaren Energien sichere Renditen abwerfen, steigen die Pachtpreise. Die Ökobranche klagt darüber, dass Neu-Landwirte keine bezahlbaren Flächen mehr finden.

Das muss sich ändern. Denn Lebensmittel sind Mittel zum Leben.

Wie das geht? Durch Verzicht, Konzentration auf das Wesentliche und klare Wertentscheidungen der Politik. Wer weniger kauft, muss nichts mehr wegwerfen. Wer weniger fährt, benötigt weniger Sprit. Äcker sind für die Nahrung da, nicht für die Tankstellen. Die Regierung sollte das bei ihrer Förderpolitik beherzigen. Und wer, wie Agrarministerin Ilse Aigner, nachhaltige Landwirtschaft propagiert, muss dafür zahlen: mehr Geld für Biobauern, weniger für die Großställe. Mehr Geld für eine vernünftige, Vertrauen schaffende Lebensmittelkontrolle, weniger für Imagekampagnen. So einfach ist das. Und doch so schwer.

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