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Meinung: Erosion eines Ewigen

Jassir Arafat, so meldete gestern eine Nachrichtenagentur, wendet sich um 17 Uhr an die Weltöffentlichkeit. Ist das wirklich eine Nachricht?

Jassir Arafat, so meldete gestern eine Nachrichtenagentur, wendet sich um 17 Uhr an die Weltöffentlichkeit. Ist das wirklich eine Nachricht? Tut er das nicht schon seit 1959, als er Al Fatah gründete, spätestens aber seit 1974, als die PLO unter seiner Führung völkerrechtlich anerkannt wurde? Seitdem ist Arafat Tag für Tag auf Sendung. Im Westen können sich die meisten Menschen an eine Zeit nicht mehr erinnern, in der Arafat nicht schon Arafat gewesen wäre, in der er nicht regelmäßig in den Nachrichten aufgetaucht wäre. Arafat hat wahrscheinlich mehr Staatschefs geküsst, als je ein Politiker vor ihm, jedem hat er tief in die Augen geschaut und ihm seine Teil-Wahrheit zugeraunt: "Mein Volk leidet immer noch." Insofern wäre es nur eine Nachricht, wenn es heißen würde: Seit heute wendet sich Arafat nicht mehr an die Weltöffentlichkeit. Genau diese Nachricht vom politischen Ableben eines Ewigen sendet die israelische Regierung aus. Das allein könnte das Zusammenbrechen der Welt-Mediengestalt aber nicht bewirken. Dennoch kommt der Nachruf auf den Lebenden überraschend gut an, denn: Arafats Spiel ist für alle sichtbar aufgeflogen. Nie wusste man so recht, ob er den Terror nicht stoppen kann oder nicht will. Nun hat sich gezeigt: Er kann es nicht. Es ist die eigentlich tragische Nachricht, dass ohne ihn nichts geht im Nahen Osten, mit ihm aber auch nichts mehr. Die Lücke zwischen Machtanspruch und Macht hat Arafat immer mit seinem weltpolitischen Charisma gefüllt. Das ist verflogen. Daran muss sich der Westen erst gewöhnen und einsehen: Nach Arafat kommt Arafat - aber nur noch en miniature.

bul

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