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In der Stressspirale: Laut Medienberichten steigt die Zahl der Arbeitnehmer, die stressbedingt früher aus dem Beruf ausscheiden, weiter an.

© dpa

Erreichbarkeit: Ursula von der Leyens Abwesenheitsnotiz

Auch über die Feiertage waren viele Beschäftigte für ihre Arbeitgeber erreichbar. Trotz langer Debatten über entgrenzte Arbeitszeiten und Burnout hat sich bislang nicht viel geändert.

Von Anna Sauerbrey

Viele Beschäftigte kehren heute nach dem Weihnachtsurlaub in ihre Unternehmen zurück, zurück in das Hamsterrad. Nur – haben sie es über die Feiertage wirklich verlassen? Glaubt man einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom, waren rund drei Viertel der Arbeitnehmer auch im Jahresendurlaub erreichbar. Besonders die Zahl derer, die selbst während der Feiertage ihre E-Mails lesen, steigt seit Jahren.

Neu ist das nicht. Dass die E-Mail der Super-Terrorist der westlichen Bürowelt ist, ist längst kein Betriebsgeheimnis mehr. Burn-out und Depression sind inzwischen gesellschaftlich anerkannte Krankheiten, auch die breite Medienberichterstattung darüber dürfte einer der Gründe sein, warum sie immer häufiger diagnostiziert werden. Jüngste Berichte, die auf Zahlen der Deutschen Rentenversicherung beruhen, bestätigen erneut, dass die Zahl derer, die wegen psychischer Erkrankungen aus dem Beruf aussteigen, in den vergangenen zehn Jahren rasant gestiegen ist.

Viele große und kleine Unternehmen haben das Problem inzwischen erkannt. VW etwa hat bereits 2011 für seine Tarifbeschäftigten eine Betriebsvereinbarung getroffen, dass außerhalb der Arbeitszeiten keine E-Mails weitergeleitet werden. Um Viertel nach sechs am Abend geht die elektronische Schranke herunter.

Die Politik aber starrt auf das Problem wie ein Arbeitnehmer nach zwei Wochen Abwesenheit auf seine 473 ungelesenen Nachrichten. Einige SPD-Länder haben im November eine Bundesratsinitiative angekündigt, sie wollen den Schutz vor Stress explizit im Arbeitsschutzrecht verankern. Doch eine solche Änderung oder auch eine Anti-Stress-Verordnung, wie sie die IG-Metall gefordert hat, wird es mit Ursula von der Leyen wohl nicht geben. Die Ministerin äußert sich zwar gern zu dem Problem, hält sich aber mit konkreten Initiativen zurück. Sie verweist auf bestehende Regelungen: Bereits jetzt sind maximal zehn Stunden Arbeit täglich zulässig, Sonntagsarbeit ist im Prinzip untersagt.

Die Zurückhaltung der Arbeitsministerin macht durchaus Sinn. In Unternehmenskulturen hineinzuregieren ist heikel. Doch der Verweis auf das bestehende Arbeitsrecht ist wohlfeil. In der Praxis verlieren diese Regelungen zunehmend an Bedeutung. Es gibt immer mehr befristete Beschäftigung, ebenso Arbeitsverhältnisse außerhalb von Tarifverträgen. Wer aber auf die Verlängerung eines Vertrags hofft, wird nicht allzu laut jammern.

Viele der tatsächlich zahlreicher werdenden Anti-Stress-Initiativen in Unternehmen aber enthalten Soll- oder Kann-Regelungen. Nur starke Arbeitnehmer aber trauen sich, Optionen wie das Löschen von E-Mails, die in Zeiten der Abwesenheit eintreffen, tatsächlich zu nutzen. Hier kann Politik ansetzen. Eine Stärkung der Arbeitnehmer, etwa ein wirksamer Schutz vor Befristungen in Kombination mit der Aufnahme von Maßnahmen gegen zu viel Stress in die Arbeitsschutzregelungen wäre ein Fortschritt. Das würde den Arbeitnehmern helfen, sich selbst zu helfen.

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