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Meinung: Erwacht am Rhein

Regieren heißt Reformieren – und weiterdenken. Das lehren Persson und Kok. Hoffentlich

Dankbarkeit ist im Grunde keine politische Kategorie. Das lehren einige Beispiele: Helmut Kohl im Inland, der Kanzler der deutschen Einheit, und im Ausland die Herren Persson und Kok aus Schweden und den Niederlanden. Diese beiden haben es aber überstanden. Persson wie Kok gewannen wieder, jeder aus seiner jeweiligen Situation heraus. Und weil Schröder Hoffnung sucht, hatte er beide zur Klausur seines Kabinetts eingeladen. Mit ihnen verbindet den Kanzler immerhin schon mal die politische Farbe.

Bei Göran Persson waren es die Umfragewerte, die in den tiefen, tiefen Keller fielen; keiner war in seinem Land je unbeliebter. Bei Wim Kok waren es nicht nur die Umfragen, sondern auch die Wahlergebnisse. Seine Partei für die Arbeit verlor in den Provinzialwahlen, vergleichbar unseren Landtagswahlen, um die 20 Prozent, und vor dem Parteihauptquartier verbrannten Mitglieder ihre Ausweise. Beides zusammengenommen ist mehr, als Schröder gerade aushalten muss.

Nein, kein Mitleid mit Schröder, er wollte ja da rein, ins damals noch Bonner Kanzleramt. Insofern war der Besuch am alten Ort eine Rückbesinnung in zweierlei Hinsicht. So banal es klingen mag, richtig ist es doch: Regieren muss man wollen. Auf heutige Zeiten in Berlin übertragen heißt das auch: Regieren ist Reformieren. Das wissen alle, Lafontaine eingeschlossen. Sonst gibt es in Deutschland, der Baustelle der Einheit, wirklich noch eine Gefahr für die Demokratie.

Es gibt einiges zu tun, Argumentationslücken zu schließen, wie Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt zeigen. Danach sind in den vergangenen zehn Jahren die Nettogeldvermögen des reichsten Zehntels der Haushalte gegenüber dem ärmsten Zehntel vom Acht- auf das 20-fache gestiegen. Und die Geldvermögen wachsen bei dem reichsten Zehntel jeden Tag um eine halbe Milliarde. Die Banken haben 2001 insgesamt 311 Milliarden Euro Zinsen an die Sparer ausgezahlt, das entspricht 54 Prozent der Nettolöhne. Die Wirtschaftsleistung ist zwischen 1991 und 2001 um 37 Prozent gestiegen, die Geldvermögen und Zinserträge sind es um mehr als 100 Prozent. Ein weiterer Hinweis: Arbeitende konnten nur noch zwei Drittel der Produkte kaufen, die sie selbst erarbeitet haben.

Diese Zahlen haben mit Hartz IV nichts zu tun. Aber Hartz IV durchzusetzen und nicht auch an diese Zahlen zu denken, kann politisch gefährlich werden. Denn die Gefühle der Ungerechtigkeit können sich noch weiter hochschaukeln. Die deutsche Vereinigung, die europäische Einheit, die Hilfe für Russland – so viel musste von Deutschen geleistet werden, dass es jetzt wirkt, als ginge einer Mehrheit die Puste aus. Und die Lust.

Nichts ist mehr so, wie es einmal war, die Veränderungen sind global, die Umwälzungen werden lokal; das klingt eigentlich wie eine vorrevolutionäre Situation. Aber es scheint eine kanzlerimmanente Einstellung zu sein, das nicht genau und nicht genau so zu sagen. Persson und Kok waren da anders. Und es scheint ein Problem zu sein, klar auf das unausgewogene Verhältnis zwischen Solidarität und Eigenverantwortung hinzuweisen.

Im Bonner Kanzleramt wurde die soziale Marktwirtschaft ersonnen. Persson und Kok als Vorbild genommen, hat Schröder noch die Chance, vieles zu bedenken und einiges besser zu machen. Vielleicht wird es ihm dann sogar gedankt.

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