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Meinung: Es ist der Aktienmarkt, Blödmann

In den USA gibt es keinen Generationenvertrag: Jeder sorgt für sich selbst

In den USA wäre ein Herr Mißfelder undenkbar. Bei uns gibt es eine Demographie-Debatte, wie sie derzeit in Deutschland geführt wird, schlicht nicht. Warum auch? Um die Krankenversicherung kümmert sich jeder selbst, und retten, daran glauben in Amerika alle fest, wird Staat und Individuum ohnehin nur der Aktienmarkt. Viel mehr als in Deutschland baut das amerikanische System auf Eigenvorsorge – und weniger auf einen Ausgleich zwischen den Generationen.

Klar, auch bei uns gibt es ein staatliches Rentenprogramm, es nennt sich „Social Security“, das aus etwa acht Prozent eines jeden Gehaltsschecks gespeist wird. Aber das Geld soll nicht mehr als einen Bruchteil der Renten abdecken, und eigentlich ist das meiste davon längst ausgegeben: um Steuersenkungen zu finanzieren und den Krieg gegen den Terrorismus. Was übrig bleibt, werden sich unsere Eltern, die riesige Baby-Boom-Generation, unter den Nagel reißen. Nach offiziellen Schätzungen der Regierung wird die Generation der jetzt 20- bis 30-Jährigen 27 Prozent weniger Social-Security-Leistungen erhalten, als die heutigen Rentner. Doch auf diesen Rest hofft von uns schon gar keiner mehr. Wir wären dankbar, wenn wenigstens die Hälfte davon übrig bliebe.

Aber wir beschweren uns nicht. Wirklich nicht. Gegen einen Gehaltsabzug von acht Prozent großen Widerstand einzulegen, wäre ja auch geradezu kleinkariert. Die meisten von uns haben nur noch geringe Erwartungen an das politische System: Nur 20 Prozent der 18 bis 24-Jährigen gaben bei der Präsidentenwahl 2000 ihre Stimme ab.

Der Hauptgrund ist jedoch ein anderer: Es würde einfach keinen Sinn machen, uns auf ein System verlassen zu wollen, das so offensichtlich nicht funktioniert. Schon heute deckt die Social Security nicht annähernd die Lebenshaltungskosten ab. Lächerliche 700 Euro stehen einem Rentner im Monat durchschnittlich zur Verfügung, aufs Jahr gesehen liegen sie damit nicht weit über der offiziellen Armutsgrenze. „Medicare“, die medizinische Grundversorgung der Älteren durch den Staat, ist kaum mehr als ein Auffangnetz im Notfall. Es übernimmt im Allgemeinen nur die notwendigsten Arztrechnungen.

Wer in Amerika ohne ausreichende Ersparnisse oder großzügige Familienmitglieder alt wird, bekommt nicht selten große finanzielle Probleme. Immer wieder machen Geschichten von Alten die Runde, die vor der Wahl stehen, entweder dringend notwendige Verschreibungen zu bezahlen – oder die Stromrechnung. Kein Wunder also, dass der jüngste Spartrend unsere Großeltern in Massen nach Kanada treibt: Dort sind die Medikamente billiger.

Was haben wir, die Jüngeren, also gelernt? Um einen bekannten Spruch unseres ersten Baby-Boom-Präsidenten Bill Clinton leicht abzuwandeln: „It’s the stock market, stupid, „es ist der Aktienmarkt, Blödmann.“ Wir wissen, dass die Altersvorsorge unsere eigene Aufgabe ist. Und deshalb fangen die meisten von uns schon mit dem Sparen an, sobald sie ihren ersten Job haben. Der Staat, der auch ein Interesse daran hat, die Last zu schmälern, hilft dabei: Auf privatwirtschaftliche Vorsorgepläne werden keine Steuern erhoben.

Natürlich wissen wir, dass unser Plan nicht wasserdicht ist: der Markt ist unberechenbar, und ein Enron-Skandal zum falschen Zeitpunkt oder eine Internet-Blase, die platzt, kann dazu führen, dass wir sehr viel länger arbeiten müssen, als uns lieb ist. Wir haben miterlebt, wie der Staat die Erwartungen unsere Großeltern enttäuscht hat. Das soll uns nicht passieren. Lieber hoffen wir erst gar nicht auf den Staat, sondern darauf, dass der Aktienmarkt uns nicht auch enttäuschen wird.

Die Autorin arbeitet bei „US World & News Report“ und ist derzeit als Burns-Stipendiatin Gast unserer Redaktion.

Joellen Perry

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