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Meinung: Es ist nicht alles Egalité

Ohne Kopftuch, Kippa, Kreuz: Frankreich stoppt religiöse Symbole. Und Deutschland?

Von Gerd Appenzeller

In Frankreich sind Staat und Kirche voneinander getrennt. In Deutschland auch. Aber in Frankreich merkt man es. Unsere Nachbarn im Westen, denen die Deutschen gerne eine Tendenz zum Laisserfaire nachsagen, nehmen die seit 1905 festgeschriebene laizistische Grundtendenz des Landes ernst, zumindest der Form nach. Deshalb konnte Staatspräsident Jacques Chirac nun auch ein Gesetz ankündigen, in dem das Tragen auffälliger religiöser Zeichen und Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit verboten wird. Das geht gegen das Kopftuch muslimischer Frauen und Mädchen, aber trifft auch christliche Kreuze und die jüdische Kippa. Nur unauffällige Insignien der religiösen Orientierung werden geduldet.

Natürlich ist Frankreich, ungeachtet dieses sehr formalistischen Beharrens auf der Trennung von Staat und Kirche, nach wie vor ein zutiefst katholisches Land, und selbstverständlich war der öffentlich inszenierte sonntägliche Kirchgang von Charles de Gaulle bis zum heutigen Staatsoberhaupt immer ein kalkuliertes Signal an die katholische Wählerschaft. Aber Verfassung ist Verfassung, und Frankreich ist, ungeachtet aller Regionalisierungsversuche, immer noch ein stark zentralistisches Land, in dem „Paris“ vorgeben kann, nach welchen Tönen die Provinz tanzt. In Deutschland hat in diesem Jahr das Bundesverfassungsgericht den Landesregierungen die Entscheidung darüber aufgetragen, ein eventuelles Kopftuchverbot gesetzgeberisch zu verankern. Ist Frankreich also kein Vorbild für Deutschland, kein Beispiel an politischer Entschlossenheit?

Abgesehen vom rechtlichen Zwang zur strikten Trennung zwischen Staat und Kirche ist Chiracs Ankündigung nicht mehr als eine pathetische Geste, die an den eigentlichen Problemen nichts ändern wird. Sie ist lediglich als warnendes Signal an die Islamisten, die in Frankreich eine wachsende Rolle spielen, von Bedeutung.

Keiner kennt genau die Zahl der Muslime, denn seit 1905 ist jede staatliche Nachfrage nach der Religionszugehörigkeit verboten. Vermutlich sind es fast fünf Millionen. Ihre Radikalisierung schreitet in den verwahrlosten Vororten der Großstädte gerade unter Jugendlichen rasant fort. Der Antisemitismus und entsprechende Gewaltakte gegenüber französischen Juden und jüdischen Institutionen nehmen zu, der Nahostkonflikt schlägt auf Frankreich voll durch. Die religiösen Führer des Islam dort haben politische Bindungen an radikale Maghrebstaaten – der Mufti von Paris ist zum Beispiel algerischer Staatsbeamter. Da mag eine politische Warnung aus Paris, man werde künftig ein strengeres Auge auf die Radikalisierung werfen, durchaus Wirkung zeigen. Aber das neue Gesetz wird nicht helfen, das Grundübel an der Wurzel zu packen – und das ist die anhaltende Diskriminierung der arabischen Einwanderer, die seit dem Zusammenbruch des französischen Kolonialreiches in Nordafrika zu Millionen gekommen sind. Der deutsche Beobachter neigt zu der Annahme, die Integration dieser Gruppe müsse besonders leicht fallen, weil die Immigranten alle französisch sprechen, es also, im Gegensatz zu den Türken in Deutschland, kein Verständigungsproblem gibt. Tatsächlich aber bekommen junge arabisch-stämmige Franzosen keinen Job, ihren Eltern werden nur ungern Wohnungen außerhalb der von Arabern dominierten Viertel vermietet. Die französische Rechte spricht unverhohlen von der Notwendigkeit, solche Quartiers wieder „weiß“ zu machen – „reblanchir“ nennt sie das.

Aus deutscher Sicht alarmierend an der französischen Situation ist also, dass dort die kulturelle Kluft zwischen christlichen und muslimischen Bürgern nicht geschlossen werden kann, obwohl die Voraussetzungen dafür günstiger wären als hier. Wer die Re-Islamisierung bremsen will, muss wohl bei der Verbesserung der sozialen Chancen ansetzen. Insoweit gleicht sich die Situation eben doch: Das Kopftuch ist nicht der Kern des Problems.

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