zum Hauptinhalt

Meinung: Es lebe der Kaiser

China hat ein neues Gesicht – aber die Macht behält Jiang

Ein Kaiser geht nicht in Rente. Wer im alten China das Mandat des Himmels erhalten hatte, regierte bis zum Tod. Auch die roten Kaiser der Volksrepublik hielten sich an diese Regel. Als zahnloser Greis führte Mao Zedong bis zu seinem Tod vom Schwimmbad aus die Amtsgeschäfte. Sein Nachfolger Deng Xiaoping war am Schluss nur noch Ehrenvorsitzender des nationalen Bridge-Verbandes. Und doch hielt er alle Fäden in der Hand.

Nun steht China wieder vor einem Wechsel. Nach 13 Jahren hat Jiang Zemin auf dem Parteitag die Führung der KP abgegeben. Für China ist dies ein Novum: Zum ersten Mal seit Gründung der Volksrepublik findet eine Amtsübergabe ohne Intrigen und Fraktionskämpfe statt. Die Macht jedoch behält weiter Jiang Zemin. Der neue Mann, Hu Jintao, ist ein Führer von Jiangs Gnaden. Im Politbüro der Partei, im Generalstab der Armee, an den Schaltstellen der Staatsmedien werden Gefolgsleute von Jiang Zemin sitzen. Hu Jintao ist vorerst nur das neue Gesicht Chinas. Bis er wirklich regiert, werden Jahre vergehen.

Jiang Zemin hatte eine Art Pakt mit dem Volk geschlossen: Die Partei liefert den Aufschwung, etwas Wohlstand und Stabilität. Dafür darf das Volk die Macht der Partei nicht in Frage stellen. China erlebte im vergangenen Jahrzehnt einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Exporte haben sich seit 1989 mehr als vervierfacht, die Investitionen aus dem Ausland explodierten. China ist unter Jiang wohlhabender geworden, aber auch ungerechter. Millionen Bauern und Arbeitslose leben am Rande des Existenzminimums. Das politische System, gelähmt durch Korruption und Vetternwirtschaft, ist mit den sozialen Spannungen überfordert. Eine wachsende Zahl von Demonstrationen und Aufständen zeugt davon, dass das gesellschaftliche Gleichgewicht gefährdet ist.

Jiang Zemins großer Fehler war, dass er nur auf wirtschaftliche Öffnung setzte und politische Reformen verhinderte. Chinas akademische und öffentliche Debatte ist heute unfreier als in den 80ern. Der Mangel an politischer Öffnung hat die KP verwundbar gemacht. In dem politischen Vakuum kann sich jeder regionale Streik zu einer Revolution ausweiten, jede Kritik zur Systemfrage werden. Seine Macht aufzugeben, kann sich Jiang Zemin nicht leisten. Der Kaiser muss weiter regieren, um die Dynastie zu retten.

Harald Maass

Zur Startseite