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Meinung: Es weihnachtet schwer

Wenn die Menschen spüren, dass sie trotz all ihren Wissens immer ratloser werden, ersehnen sie Gewissheit im Glauben. Die Natur hat uns wohl so eingerichtet: Wenn der Verstand uns die Sicherheit nicht mehr gibt, ohne die das Leben verzweifelt wird, erhoffen wir uns den Halt da, wo ihn auch sich weniger aufgeklärt fühlende Generationen als die unserige suchten.

Wenn die Menschen spüren, dass sie trotz all ihren Wissens immer ratloser werden, ersehnen sie Gewissheit im Glauben. Die Natur hat uns wohl so eingerichtet: Wenn der Verstand uns die Sicherheit nicht mehr gibt, ohne die das Leben verzweifelt wird, erhoffen wir uns den Halt da, wo ihn auch sich weniger aufgeklärt fühlende Generationen als die unserige suchten. Viele beten und gehen in die Kirchen. Und vielleicht täuscht der Eindruck ja nicht, dass die Kirchen überfüllt waren, dass deutlich mehr Menschen das Bedürfnis hatten, zur Weihnachtsmesse zu gehen und eine Stunde innerer Einkehr zu haben.

In keinem Jahr seit Ende des Zweiten Weltkrieges standen mehr deutsche Soldaten weltweit im Einsatz als 2001. An keinem Weihnachten seit 1944 beteten mehr Eltern, Kinder und andere Familienangehörige in unserem Land für die gesunde Heimkehr ihrer Töchter und Söhne von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland. Anders als im Zweiten Weltkrieg kommen die Soldaten diesmal in friedlicher Absicht, und nicht um andere Länder zu unterwerfen. Aber sie wurden und werden nicht immer friedlich aufgenommen. Sie riskieren ihr Leben.

Der Bundespräsident hat in seiner Weihnachtsbotschaft erwähnt, dass die Bundeswehrangehörigen sich in ihrer Mission der Unterstützung aller, oder, sagen wir ehrlicher: fast aller Deutschen sicher sein können. Aber alle spüren, dass sich für Deutschland in der Welt mit diesem Jahr endgültig etwas geändert hat. Nicht, weil wir militaristisch oder gar expansionistisch geworden seien. Nein, weil die Anderen, weil unsere Partner nicht mehr zu uns stehen würden, wenn wir jetzt nicht zu ihnen stünden.

Und dann war da, schwerer lastend als alles andere, der 11. September. Religion dürfe niemals zur Begründung von Hass und Gewalt missbraucht werden, hat Johannes Paul II. in seiner Weihnachtsansprache gewarnt. Die Mahnung hat viele Adressaten. Im Nahen und Mittleren Osten, in Nordirland. Aber sie hat nur ein Datum. Eben den 11. September. Seit den Kreuzzügen und der Inquisition, beides christliche Menetekel, hat es keinen größeren Mord aus religiösen Motiven gegeben als den der islamistischen Flugzeugattentäter. Wir sollten keine neuen Feindbilder aufbauen, hat die evangelische Bischöfin Maria Jepsen mit Blick auf das Geschehen dieses Tages in New York und Washington uns alle aufgefordert. Ja.

Aber: Der sich selbst genügende und mit sich selbst beschäftigte Westen, der so genannte abendländische Kulturkreis, hatte bis zu diesem 11. September gar kein islamistisches Feindbild. Ob er aber danach, bei aller Nachdenklichkeit, die uns befallen hat, nicht doch ein paar neue Fragen an den Islam stellen darf, nach ein paar mehr Klarstellungen forschen, als das bislang geschah?

Weihnachten ist, natürlich, das Fest der Versöhnung. Gerade darum lieben es ratlose Menschen so sehr, weil Versöhnung etwas mit der Abwesenheit von Gewalt zu tun hat. Nach christlicher Überlieferung ist Jesus in Bethlehem geboren. Am Weihnachtsgottesdienst in dieser Stadt in Palästina hat in den vergangenen Jahren auch Jassir Arafat teilgenommen. Das hatte vermutlich weniger mit dem Glauben, als mit Politik zu tun. Aber es war, unbestritten, eine wichtige Geste, wichtig nicht nur für Arafat. Er selber ist Moslem, seine Frau aber Christin. Arafat Weihnachten in Bethlehem, unter israelischer Oberhoheit, dieses Ereignis schlug immer einen Bogen nicht nur zwischen Konfliktparteien, sondern auch zwischen den drei abrahamitischen Religionen. In diesem Jahr blieb Arafats PLatz in der Sankt-Katharinen-Kirche leer. Israels Ministerpräsident hatte Arafat die Passage verweigert.

Das war nicht nur idiotisch, wie es Außenminister Peres drastisch nannte. Es war vor allem auch ahistorisch. Das ausgerechnet in einer Region dieser Welt zu tun, in der wie in keiner anderen die Hoffnungen auch auf der gemeinsamen, fast zweitausendjährigen Geschichte ruhen, war anmaßend.

Bethlehem ist der Geburtsort einer gewaltfreien Utopie. Das könnte man doch akzeptieren. Wenigstens am 24. Dezember.

Gerd Appenzeller

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