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Meinung: Es wird heißer, immer heißer

Im Kampf gegen die Erderwärmung gibt es nur unausgereifte Ideen

Alexander S. Kekulé Manchmal passieren Dinge, die keiner für möglich gehalten hat: Derzeit strömen in den USA begeisterte Besucherscharen ins Kino, um die Powerpoint-Präsentation eines gescheiterten Präsidentschaftskandidaten zu sehen – in voller Spielfilmlänge. Al Gore, ehemaliger Vizepräsident der größten Luftverschmutzer-Nation der Erde, hat sich dem Klimaschutz verschrieben. Seinen aufwühlenden Vortrag über Erderwärmung, Wirbelstürme, Hungersnöte und andere menschengemachte Katastrophen hat er über 1000 Mal gehalten. Jetzt wollen alle die „unbequeme Wahrheit“ auf der Leinwand sehen (An Inconvenient Truth, deutscher Kinostart 12. Oktober).

Al Gore ist Galionsfigur einer Bewegung, die in den USA ungeahnte Scharen von Politikern, Journalisten und Unternehmern erfasst hat. Ende August beschloss der Bundesstaat Kalifornien, seinen industriellen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid bis 2020 um ein Viertel zu reduzieren. Das umfangreiche Maßnahmenpaket erstreckt sich von Klimaauflagen für Fabriken und Kraftwerke bis zu Sonderabgaben für Stromfresser in Privathaushalten. Zahlreiche Bundesstaaten und Gemeinden haben ähnliche, wenn auch weniger drastische Maßnahmen zum Klimaschutz beschlossen. Auch viele Unternehmer schwenken auf den neuen Trend um. Medienmogul Rupert Murdoch etwa spendete letzte Woche beim Jahrestreffen der „Clinton Global Initiative“ in New York eine halbe Million Dollar für Klimaschutzprojekte, Billigflug-Pionier Richard Branson kündigte an, drei Milliarden in erneuerbare Energien zu investieren.

Als wichtigste Maßnahme zur Rettung des Erdklimas haben Gore und seine Mitstreiter die Reduktion des Kohlendioxidausstoßes im Visier: Die Amerikaner sollen künftig benzinsparend und weniger Auto fahren, energieeffiziente Häuser bauen und vor allem ihre Industrie auf erneuerbare Energien umstellen – Solarzellen, Windkraft und Rapsöl statt stinkender Kohlekraftwerke und Abhängigkeit von den Ölscheichs. Um das zu erreichen, hat Gore vorgeschlagen, die Lohnsteuer abzuschaffen und stattdessen den Energieverbrauch zu besteuern.

Die gut gemeinten Ideen haben nur einen Nachteil: Sie sind allesamt steinalt und funktionieren technisch – noch – nicht. So konnte der Wirkungsgrad von Solarzellen, entgegen früheren Prognosen, bei weitem noch nicht so weit erhöht werden, dass eine breite Anwendung in gemäßigten Klimazonen ökonomisch wäre. Auch die Windkraft kann, solange die technischen Probleme etwa von Offshore-Anlagen ungelöst sind, fossile und nukleare Brennstoffe nicht ersetzen. Nachwachsende Brennstoffe sind nur um den Preis riesiger Monokulturen zu haben – für die lukrative Gewinnung von Palmöl zur Biostrom-Erzeugung werden in Indonesien bereits die Regenwälder abgeholzt. In der sogenannten „grauen“ Biotechnologie ist Biosprit der große Renner, weil er am wirtschaftlichsten mit gentechnisch veränderten Pflanzen gewonnen werden kann. Seine Idee von der Energiesteuer schließlich verbreitet Gore schon länger – seit nicht weniger als 14 Jahren, bisher ohne Erfolg.

Im letzten Jahrhundert hat sich die untere Atmosphäre um 0,8 Grad Celsius erwärmt. Nach einer aktuellen Studie der Nasa nimmt der Temperaturanstieg noch rasanter zu als bisher berechnet: Selbst wenn der Treibhausgas-Ausstoß sofort gestoppt würde, wären mehrere Grad Celsius Erderwärmung unausweichlich. Angesichts dieser Ohnmacht hat sich die EU vorsorglich ein bescheidenes „Klimaziel“ von 2 Grad Erderwärmung gesteckt und erklärt, erst darüber würde der „schädliche“ Klimawandel beginnen. Zwei Grad Erwärmung, das bedeutet jedoch bereits Hurrikane im nördlichen Atlantik, Versinken der Malediven und anderer Inselstaaten, tödliche Hitzewellen und unkontrollierte Ausbreitung tropischer Krankheiten.

Die Eindämmung der Erderwärmung ist, neben dem Kampf gegen globale Seuchen, die wichtigste Gemeinschaftsaufgabe der Menschheit. Zu ihrer Bewältigung werden vollkommen neue technische und logistische Konzepte benötigt, die nur eine konzertierte Aktion aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik hervorbringen kann – bleibt zu hoffen, dass wieder einmal etwas passiert, was keiner für möglich gehalten hat.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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